Jahrelang schien der Trend eindeutig: immer mehr Studium, immer weniger Handwerk. Die Zahl der Ausbildungsverträge sank kontinuierlich, die akademische Laufbahn galt als Standardweg. Doch nun kippt die Stimmung. Eine neue LinkedIn-Befragung zeigt, dass fast die Hälfte der 18- bis 28-Jährigen lieber im Handwerk oder in der Industrie arbeiten würde als im Büro. Ein Befund, der vor wenigen Jahren kaum denkbar war.
Die Gen Z spürt den technologischen Umbruch stärker als andere Generationen
Fast 50 Prozent der jungen Befragten geben an, sich Sorgen zu machen, dass ihre Jobs durch KI verändert werden könnten. Und mehr als die Hälfte sagt, dass sie Karriereentscheidungen danach trifft, wie gefährdet ein Beruf durch Automatisierung ist. Werte, die in älteren Altersgruppen deutlich niedriger liegen.
Barbara Wittmann, Deutschlandchefin von LinkedIn, sieht darin eine nüchterne Risikoabwägung: KI verändert nicht nur Tätigkeiten, sondern ganze Berufsbilder. Die Gen Z registriert diesen Wandel schneller und direkter als Generationen, die ihre Karriere schon etabliert haben.

Praktische Berufe gewinnen, weil sie Stabilität und Relevanz versprechen
Arbeitsmarktforscher Tobias Zimmermann verweist darauf, dass junge Menschen verstärkt nach Berufen suchen, in denen ihre Fähigkeiten langfristig gebraucht werden. Der Hinweis des KI-Pioniers Geoffrey Hinton, man solle angesichts des technologischen Wandels „Klempner werden“, hat daher weniger Witz als Weitsicht.
Der Trend spiegelt sich bereits in den Ausbildungszahlen: 2023 wurden die meisten neuen Verträge im Beruf des Kraftfahrzeugmechatronikers abgeschlossen – deutlich mehr als in kaufmännischen Ausbildungswegen, die über Jahre dominierten. Praktische Berufe gelten wieder als zukunftsfähig, weil sie Tätigkeiten bündeln, die schwer automatisierbar sind.
Gesellschaftliche Anerkennung hat das Handwerk aufgewertet
Seit der Pandemie hat sich die Wahrnehmung systemrelevanter Berufe sichtbar verändert. 57 Prozent der Befragten geben an, praktische Berufe heute höher zu schätzen als früher. Wo früher akademischer Status zählte, rückt nun der konkrete Nutzen stärker in den Vordergrund.
Die Gen Z sieht zudem Vorteile im Alltag: Rund die Hälfte erwartet eine ausgewogene Work-Life-Balance. 56 Prozent halten handwerkliche Arbeit für sinnstiftender als Bürojobs, 53 Prozent sogar für finanziell attraktiver. Diese Mischung aus pragmatischer Sicherheit und persönlicher Sinnsuche macht klassische Ausbildungsberufe wieder konkurrenzfähig.
Doch die strukturelle Realität bremst jeden schnellen Wandel
Trotz wachsender Sympathie bleibt der Hochschulantritt stabil hoch. 56,5 Prozent eines Jahrgangs begannen 2023 ein Studium – ein Wert, der die kulturelle Verankerung der akademischen Laufbahn in Deutschland zeigt. Die neue Wertschätzung für Ausbildung bedeutet also keinen Exodus aus den Hörsälen, sondern eine allmähliche Verschiebung der Perspektiven.
Wittmann sieht darin eine notwendige Korrektur eines über Jahrzehnte einseitigen Trends. Das Studium bleibe attraktiv, aber nicht mehr alternativlos. Ausbildungsberufe gewinnen Profil, weil sie in einem von KI getriebenen Arbeitsmarkt robuste Zukunftschancen bieten.
Die neue Generation denkt nicht um – sie kalkuliert
Zimmermann betont, dass es der Gen Z nicht um Nostalgie gehe, sondern um Marktlogik. Sie schaut auf Branchen, die trotz technologischer Umbrüche Bestand haben. Sie sucht Tätigkeiten, deren Wert nicht schrumpft, wenn Algorithmen Aufgaben übernehmen. Und sie erkennt, dass gerade das Handwerk Fähigkeiten verlangt, die sich nicht in Modelle pressen lassen.
Der Satz „Ich werd’ Klempner“ ist deshalb weniger ein Ausruf der Rebellion als ein realistisches Zukunftsmodell. Die Baustelle ersetzt das Büro nicht aus Zufall – sondern weil sich die Berufslandschaft neu sortiert.


