Die Langfassung der Sicherheitsstrategie stellt Europas Rolle infrage
Defense One berichtet von einer erweiterten Version der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA, die das Weiße Haus nicht veröffentlicht hat. In dieser Fassung taucht ein heikler Gedanke auf: Die US-Administration sieht demnach gezielt vier Länder als potenzielle Partner, um sie politisch von der EU zu lösen – Österreich, Ungarn, Italien und Polen. Gemeint sind Regierungen, die sich ohnehin regelmäßig mit Brüssel reiben und deren politische Leitlinien in Teilen näher an Washingtons aktueller Ausrichtung liegen als an der europäischen.
Die veröffentlichte Version der Strategie hatte bereits irritiert: Statt China oder Russland stellte sie die Europäische Union überraschend scharf als Problemfall dar – wirtschaftlich schwach, migrationspolitisch instabil und sicherheitspolitisch wenig belastbar. Die Langfassung geht darüber hinaus und formuliert das Ziel, europäischen Widerstand gegen die EU zu stärken, als strategisches Interesse der USA.
Die Auswahl der vier Länder folgt einer klaren Logik
Österreich, Ungarn, Italien und Polen eint nicht nur eine Reihe politischer Konflikte mit Brüssel, sondern auch nationalkonservative Bewegungen, die Washington laut Bericht als „kompatibel“ einschätzt. Die USA wollten ihre Europapolitik auf „gleichgesinnte Regierungen, Parteien und kulturelle Akteure“ konzentrieren, die Souveränität betonen, traditionelle Lebensmodelle hervorheben und sich gleichzeitig proamerikanisch positionieren.
Aus amerikanischer Sicht sind diese vier Staaten nicht nur Ansatzpunkte für stärkere bilaterale Beziehungen, sondern mögliche Katalysatoren für eine tiefergehende Fragmentierung innerhalb der EU. Die geopolitische Logik dahinter: Ein Europa, das nicht geschlossen auftritt, ist leichter zu beeinflussen – und weniger in der Lage, eigene strategische Ambitionen zu verfolgen.
Ein globales Format ohne Europa: die Core 5
Für zusätzliche Brisanz sorgt ein zweiter Punkt aus der unveröffentlichten Fassung. Washington prüft laut Bericht die Bildung eines neuen internationalen Formats namens „Core 5“ – bestehend aus den USA, China, Russland, Indien und Japan. Europa käme darin schlicht nicht vor.

Ein solches Gremium würde die klassischen Strukturen internationaler Politik sprengen und Europa aus einem Kreis ausschließen, der über die entscheidenden Fragen von Wirtschaft, Sicherheit und Technologieentwicklung entscheidet. Für europäische Diplomaten wäre das ein Warnsignal: Die USA sind bereit, globale Architektur ohne europäische Beteiligung zu denken.
Die Verschiebung der Machtbalance steht im Zentrum
Die Signale aus Washington zielen nicht auf offene Konfrontation mit Brüssel – sondern auf eine strategische Neuordnung. Die USA setzen stärker auf direkte Beziehungen zu einzelnen Staaten, während sie der EU als politischem Akteur weniger Gewicht beimessen. Die mögliche Herauslösung von vier Mitgliedern aus dem Brüsseler Konsens wäre ein massiver Eingriff in die europäische Balance.
In Europa würde ein solcher Kurs zwei Herausforderungen schaffen: erstens die Gefahr, dass nationale Regierungen außenpolitisch divergieren; zweitens die Erosion des kollektiven Gewichts der EU gegenüber den USA, China oder Indien. Für Washington jedoch wäre diese Entwicklung ein Vorteil – sie verlagert Einflusskanäle von multilateralen Institutionen hin zu bilateralen Abhängigkeiten.
Der Bericht zeigt die tektonische Verschiebung im transatlantischen Verhältnis
Ob die Langfassung jemals offiziell bestätigt wird, ist zweitrangig. Entscheidend ist die Richtung, die sich darin abzeichnet: Die USA betrachten Europa nicht mehr als kohärenten Partner, sondern als geopolitisch fragmentierbare Region. Gleichzeitig entwickeln sie globale Formate, in denen Europa keine Rolle mehr spielt.
Das Unbehagen in Brüssel erklärt sich aus genau diesem Punkt: Nicht die vier genannten Staaten sind das Problem, sondern die amerikanische Bereitschaft, das europäische Machtgefüge offen zu verändern. Der transatlantische Schulterschluss bleibt bestehen – aber seine Architektur ist nicht mehr selbstverständlich.


