Straßen im Ausnahmezustand
In Lyon lodern Flammen, in Nantes liegen Barrikaden quer über den Straßen, in Paris blockieren Demonstranten Zufahrten zu Vororten. Der Ruf „Lasst uns alles blockieren“ ist keine leere Parole – er wird in Echtzeit umgesetzt.
Bahnstrecken werden lahmgelegt, Universitäten besetzt, selbst an Flughäfen drohen Störungen. Frankreich ist im Protestmodus.
Innenminister Bruno Retailleau spricht von einer „koordinierten Sabotagebewegung“. 80.000 Beamte sollen verhindern, dass das öffentliche Leben komplett zum Stillstand kommt. Doch der Eindruck bleibt: Der Staat hinkt hinterher, während die Wut sich von Stadt zu Stadt ausbreitet.
Regierungskrise als Brandbeschleuniger
Auslöser ist der Sturz von Premier François Bayrou. Sein Sparhaushalt sollte den maroden Staatsfinanzen Halt geben, doch im Parlament fehlte die Mehrheit. Neun Monate nach Amtsantritt war Schluss – Bayrou verlor die Vertrauensfrage und musste gehen.

Präsident Emmanuel Macron reagierte mit einem Blitzmanöver: Noch am selben Abend präsentierte er Sébastien Lecornu, bis dahin Verteidigungsminister, als Nachfolger. Offiziell soll Lecornu Brücken schlagen. Inoffiziell wirkt es wie ein Versuch, Macron selbst aus der Schusslinie zu nehmen.
Lecornu zwischen allen Fronten
Der 38-Jährige gilt als nüchterner Pragmatiker, einer, der mit Marine Le Pen reden kann, ohne im linken Lager sofort verbrannt zu sein. Genau diesen Spagat braucht er jetzt. Seine Aufgabe: einen Haushalt durch das zersplitterte Parlament bringen und zugleich den sozialen Flächenbrand eindämmen.

Doch schon am ersten Tag wird klar: Lecornu startet mit Hypothek. Linke fordern Macrons Rücktritt, Rechtsnationale wollen Neuwahlen. Gewerkschaften drohen mit Dauerblockaden. Der neue Premier hat das Amt – aber noch nicht das Land.
Die Blockade als Symbol
Frankreichs Proteste richten sich nicht nur gegen Zahlenkolonnen im Haushalt. Sie sind Ausdruck eines tieferen Bruchs zwischen Volk und Politik. Die Gelbwesten-Bewegung hat vorgemacht, wie dezentraler Widerstand funktioniert – ohne zentrale Führung, aber mit maximaler Wirkung.
Brennende Mülltonnen und blockierte Autobahnen sind längst mehr als Sachbeschädigung. Sie sind Symbol für ein Land, das sich selbst lahmlegt, weil es seiner Regierung nicht mehr traut.
Macrons Schwäche, Frankreichs Risiko
Für Macron wird die Krise zur Zerreißprobe. Seit der letzten Parlamentswahl ist seine Bewegung ohne eigene Mehrheit. Jede Entscheidung muss mühsam ausgehandelt werden, jeder Kompromiss wird als Kapitulation gedeutet. Mit Lecornu setzt er auf Loyalität – doch Loyalität ersetzt keine Legitimation.
Frankreich geht damit in einen politischen Herbst, der den Charakter eines Stresstests hat: für die Regierung, für die Opposition und für die Geduld der Bürger. Ob Lecornu vermitteln kann oder ob er nur als Platzhalter verschleißt, wird sich bald zeigen. Die Straßen haben längst ihr Urteil gefällt.
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