Flix verlagert den Schwerpunkt überraschend nach Deutschland
Noch im Frühjahr hatte Flix betont, die neuen Schnellzüge seien als europäisches Produkt konzipiert. Nun fällt die Kehrtwende. Sämtliche 65 Züge sollen auf deutschen Trassen fahren und ein zweites großes Fernverkehrsnetz neben dem ICE-System etablieren. Die ersten Einheiten sollen ab 2028 eingesetzt werden, schon vorher will Flixtrain sein Angebot mit modernisierten Wagen deutlich ausweiten.
Die Entscheidung fällt in eine Phase, in der der deutsche Schienenverkehr politisch neu sortiert wird. Die Bundesregierung signalisiert, den Wettbewerb stärken zu wollen, unter anderem über niedrigere Trassenpreise. Für Flix ist das der entscheidende Hebel, um den Heimatmarkt zur Wachstumsbasis zu machen.

Milliardeninvestition verschiebt das Risikoprofil des Konzerns
Die 65 Hochgeschwindigkeitszüge haben ein Volumen von bis zu 2,4 Milliarden Euro. Siemens liefert die Lokomotiven, Talgo aus Spanien die Züge, inklusive Wartungsteilen. Anders als im Busgeschäft kann Flix das operative Risiko hier nicht auslagern. Die Züge werden selbst finanziert und betrieben, getragen von Eigenkapital und Krediten.
Damit verschiebt sich das Geschäftsmodell. Während Flix bei Bussen vor allem Plattform, Vertrieb und Preisgestaltung verantwortet, geht das Unternehmen im Schienenverkehr voll ins Kapitalrisiko. Der Weg zur Profitabilität wird länger, die Schwelle höher. Flix-Chef André Schwämmlein macht daraus keinen Hehl: Gewinne seien notwendig, aber nicht kurzfristig zu erwarten.
Wettbewerb mit einem übermächtigen Staatskonzern
Der Gegner ist klar definiert. Die Deutsche Bahn dominiert den Fernverkehr mit mehr als 400 ICE-Zügen, die Flotte soll bis 2030 auf 450 wachsen. Technisch ist der Staatskonzern überlegen. Die ICE erreichen höhere Höchstgeschwindigkeiten als die Talgo-Züge von Flixtrain, auch wenn diese im Alltag wegen des maroden Netzes selten ausgereizt werden.
Auch beim Komfort liegt die Bahn bislang vorn. Bordbistro, WLAN, Klimaanlage und etablierte Reservierungssysteme sind Standard. Flixtrain will aufschließen, aber nicht kopieren. Klimaanlagen, WLAN, barrierefreier Zugang und feste Sitzplätze sind vorgesehen, ein Bordrestaurant bewusst nicht.

Günstige Preise statt maximaler Ausstattung
Flix setzt auf ein anderes Kalkül. Mehr Sitzplätze pro Zug, geringere Komplexität und ein einfaches Produkt sollen niedrigere Ticketpreise ermöglichen. Ziel ist es, zusätzliche Nachfrage zu schaffen, nicht nur bestehende Bahnreisende abzuwerben. Schwämmlein setzt darauf, dass der Markt insgesamt wächst, wenn Bahnfahren günstiger und verfügbarer wird.
Das Konzept ähnelt dem Busgeschäft: hohe Auslastung, schlanke Prozesse, aggressive Preise. Ob dieses Modell im kapitalintensiven Hochgeschwindigkeitsverkehr aufgeht, ist offen. Doch Flix setzt darauf, dass Skalierung und Netzeffekte langfristig den Ausschlag geben.
Konkurrenz könnte weiter zunehmen
Zusätzlichen Druck bringt ein möglicher Markteintritt des italienischen Staatskonzerns Ferrovie dello Stato. Das Unternehmen prüft, mit bis zu 50 Schnellzügen in Deutschland einzusteigen. In anderen Ländern zeigt sich, dass Hochgeschwindigkeitsmärkte meist nur zwei Anbieter dauerhaft tragen. Flix ist dennoch gelassen und verweist darauf, bereits positioniert zu sein.
Der Kampf um die deutsche Schiene wird damit zum Dreikampf auf Zeit. Flix geht als Herausforderer ins Risiko, die Bahn verteidigt ihre Vormachtstellung, neue Anbieter lauern. Sicher ist nur eines: Der Wettbewerb im Fernverkehr tritt in eine neue Phase ein.



