Ein falscher Steuerbescheid im digitalen Depot
Thomas Becker (Name von der Redaktion geändert), 37, aus Berlin, arbeitet im Qualitätsmanagement. Von Berufs wegen prüft er Systeme auf Fehler, analysiert Prozesse und sucht Ursachen. Doch auf das, was ihm sein eigener Broker zumutete, war selbst er nicht vorbereitet.
Im März 2024 verkaufte Becker 52 Nvidia-Aktien für rund 45.000 Euro – ordentlich versteuert, abgeschlossen, erledigt. Ein Jahr später der Schock: Im Juni 2025 buchte Trade Republic plötzlich 9686 Euro „Steuerkorrektur“ von seinem Verrechnungskonto ab. Angeblich sei sein Gewinn viel höher gewesen. Faktisch ein Rechenfehler.
„Ich musste sogar Aktien verkaufen, weil mein Konto durch die Abbuchung ins Minus rutschte“, sagt Becker.
Wochenlang bekam er von der Hotline nur Standardantworten, erst mit Anwalt wurde sein Fall ernst genommen.
Der Split, der keiner war – und doch teuer wurde
Der Auslöser war ein unspektakuläres Börsenereignis: der Nvidia-Aktiensplit im Juni 2024. Zehn neue Aktien je alter Aktie, Kurs geteilt durch zehn – für Anleger Alltag. Am Unternehmenswert änderte sich nichts. Doch im System von Trade Republic passierte etwas anderes: Die Anschaffungskosten wurden versehentlich ebenfalls durch zehn geteilt.

So wurde aus einem realen Gewinn von knapp 4100 Euro rechnerisch plötzlich einer von über 41.000 Euro. Und damit eine Steuerlast, die um ein Vielfaches zu hoch war.

Einzelfall oder strukturelles Problem?
Trade Republic spricht von einem „Fehler beim Steuerdienstleister“. Betroffen seien rückwirkend auch Transaktionen, die eigentlich korrekt verbucht waren. Inzwischen seien die Fälle identifiziert, Erstattungen veranlasst.
Doch Kundenberichte zeichnen ein anderes Bild. Auf Reddit schilderte ein Anleger, dass ihm wegen desselben Problems mehr als 7000 Euro abgebucht wurden. Wie viele Betroffene es insgesamt gibt, lässt das Unternehmen offen.
BaFin blickt schon hin
Es ist nicht das erste Mal, dass die Servicequalität von Trade Republic Fragen aufwirft. Bereits im April 2025 griff die BaFin ein, nachdem Nutzer bei Börsenturbulenzen zeitweise nicht handeln konnten. Präsident Mark Branson warnte damals:
„Eine Dienstleistung darf nicht genau dann ausfallen, wenn sie am meisten gebraucht wird.“
Auch diesmal geht es um die Kernfrage: Wie stabil ist das Geschäftsmodell der Billig-Broker wirklich, wenn grundlegende Abläufe wie Steuerberechnung oder Kundenkommunikation versagen?
Billig, aber fehleranfällig?
Das Geschäftsmodell von Trade Republic lebt von niedrigen Gebühren. Während klassische Banken für jede Order und Depotführung kassieren, setzt der Berliner Neobroker auf Minimalpreise und Masse. Doch was bedeutet das für die Servicequalität?
Das Unternehmen betont, man habe in den vergangenen zwei Jahren einen „dreistelligen Millionenbetrag“ in Infrastruktur und Service investiert. Über zehn Millionen Kunden in 18 Ländern würden rund um die Uhr betreut. Becker und andere Betroffene erleben das anders: verzögerte Kommunikation, unklare Prozesse, fehlende Transparenz.
Vertrauen ist schnell verspielt
Für Anleger wie Becker ist der Fall nicht bloß ein finanzieller Ärger. Es ist ein Test für das Vertrauen. Wer sein Depot einem Broker anvertraut, muss sicher sein, dass Zahlen stimmen, Steuern korrekt berechnet und Probleme schnell gelöst werden.
„Es zeigt, wie chaotisch dort gearbeitet wird – offenbar weiß die eine Hand nicht, was die andere tut“, sagt Becker. Drei Monate nach der falschen Abbuchung wartet er noch immer auf sein Geld.
Starker Schluss
Trade Republic hat die deutsche Broker-Landschaft verändert – mit niedrigen Gebühren und einer App, die Millionen Menschen erstmals an die Börse brachte. Doch der Fall Becker zeigt die Kehrseite: Wer beim Preis spart, darf nicht bei der Verlässlichkeit sparen. Denn an der Börse gilt ein ehernes Gesetz: Vertrauen ist das wertvollste Kapital – und das verliert sich schneller als jeder Aktiensplit.
