30 Jahre Friedensdividende sind vorbei. Was bleibt, ist ein Kontinent in sicherheitspolitischer Schieflage – und eine alarmierende Zahl: 880 Milliarden Euro.
So viel müsste Europa laut einer aktuellen Studie des renommierten International Institute for Strategic Studies (IISS) investieren, um die Rolle der USA bei der Verteidigung des Kontinents selbst zu übernehmen. Das entspricht etwa einer Billion Dollar – ein Preisschild für 30 Jahre Selbstzufriedenheit.
Rüstungslücke: Das Europa nach Trump
Seit Donald Trump wieder im Weißen Haus sitzt, trauen viele europäische Staaten der NATO-Schutzgarantie nicht mehr. Zu unberechenbar, zu isolationistisch klingen die Töne aus Washington.
NATO-Generalsekretär Mark Rutte fordert deshalb, die europäischen Rüstungsausgaben deutlich über das bisherige Zwei-Prozent-Ziel hinaus zu erhöhen.
"Die alten zwei Prozent reichen nicht, um die Fähigkeitslücken zu schließen", so Rutte.
Denn schon heute sei Europas Verteidigung gegen Russland prekär – in wenigen Jahren könnte sie desaströs sein.
Die lange Einkaufsliste für Europas Armeen
Was genau fehlt, listet das IISS in drastischer Klarheit auf: 400 Kampfjets, 600 Kampfpanzer, 20 Zerstörer, 800 Schützenpanzer, zehn nuklear betriebene U-Boote, 2700 seegestützte Langstreckenraketen – sowie zwei Flugzeugträger.
Dazu kommen Mangelbereiche, die kaum mit Zahlen zu beziffern sind: strategische Aufklärung, Weltraumfähigkeiten, Kommando- und Kommunikationssysteme. Vor allem aber: Zeit.

Die Frist läuft – Russlands Wiederaufrüstung hat begonnen
Sicherheitsexperten rechnen damit, dass Russland spätestens bis 2029 militärisch wieder handlungsfähig ist – manche warnen sogar vor 2027. Die russische Kriegswirtschaft läuft auf Hochtouren, die Verteidigungsindustrie produziert durchgehend.
Sobald ein Waffenstillstand in der Ukraine greift, könnte Moskau binnen weniger Jahre zur Vorkriegsstärke zurückkehren – und würde damit genau dann bereitstehen, wenn Europas militärisches "Fenster der Verwundbarkeit" am weitesten offensteht.
Industrie am Limit, Beschaffung zu langsam
Doch die europäischen Rüstungskapazitäten sind chronisch unzureichend. Marine und Luftwaffe wurden über Jahrzehnte vernachlässigt, Investitionen in Produktionslinien stehen erst am Anfang.
Laut IISS ist Europa deshalb gezwungen, weiterhin US-Technologie zuzukaufen – ausgerechnet von einem Partner, dem man nicht mehr traut. Eigenentwicklungen wären zwar strategisch sinnvoll, aber schlicht zu langsam.
Zahlen, die kein Politiker gerne hört
128.000 US-Soldaten würden laut NATO-Planungen im Ernstfall zur Verteidigung Europas abgestellt. Ohne diese müsste Europa die gleiche Kapazität bereitstellen. Allein die Beschaffung und Instandhaltung der Hardware würden eine Billion Dollar kosten.
Und das in Zeiten, in denen viele Mitgliedsstaaten mit Haushaltssperren, Defizitverfahren und Schuldenbremsen kämpfen.
Das Zeitfenster schließt sich
Europas historische Nachlässigkeit im Verteidigungsbereich hat Konsequenzen. Die nächsten fünf Jahre entscheiden darüber, ob der Kontinent seine sicherheitspolitische Selbständigkeit zurückerlangen kann – oder für Jahrzehnte in militärischer Abhängigkeit verharrt.
Der Preis für 30 Jahre Illusion von Sicherheit liegt jetzt auf dem Tisch. Und er ist höher, als viele zugeben wollen.