Manchmal geht es schneller, als selbst die Beteiligten erwarten. Gerade erst hatte der neue ZF-Konzernchef Mathias Miedrich angekündigt, die Elektroniksparte ADAS auszugliedern – wenige Wochen später ist sie verkauft. Käufer ist Harman, die Autosparte des koreanischen Elektronikkonzerns Samsung. Der Preis: rund 1,5 Milliarden Euro.
Für ZF ist es ein Einschnitt. Für Harman ein Coup. Und für die 3.700 Beschäftigten der Sparte wohl eher eine gute Nachricht.

ZF verschafft sich Luft – um einen hohen Preis
Der Deal reduziert die Verschuldung von ZF Friedrichshafen um gut zehn Prozent. In der aktuellen Lage ist das nicht wenig. Der traditionsreiche Autozulieferer steht seit Monaten unter massivem finanziellen Druck, hohe Schulden engen den strategischen Spielraum ein. Der Verkauf der ADAS-Sparte ist damit vor allem eines: ein Schritt zur Stabilisierung.
Doch er hat seinen Preis. ADAS – Fahrassistenzsysteme von Kameras über Sensorik bis zur Software – gehört zu den wenigen Bereichen, in denen ZF noch weltweit wettbewerbsfähig ist. In Kamerasystemen für Assistenzfunktionen gilt der Konzern als Weltmarktführer. Genau diese Stärke gibt ZF nun aus der Hand.
Harman schließt die letzte Lücke
Für Harman-Chef Christian Sobottka ist der Zukauf dagegen ein strategischer Glücksgriff. „Mit dem Kauf werden wir unseren Umsatz in wenigen Jahren verdoppeln“, sagt er. Harman hatte zuletzt bereits Sound United übernommen, inklusive Marken wie Bang & Olufsen. Nun folgt der Schritt in ein sicherheitskritisches Kernfeld der Fahrzeugtechnik.
Rund 60 Prozent des Harman-Umsatzes stammen aus dem Automotive-Geschäft. Software, Displays, Lautsprecher – das Unternehmen besetzt alles rund um das Fahrerlebnis im Auto, die sogenannte „In-Cabin-Experience“. Was bislang fehlte, waren sicherheitsrelevante Systeme. ADAS liefert genau das.
Sobottka formuliert das Problem offen: Viele Fahrer nutzten Assistenzsysteme kaum, weil sie ihnen nicht vertrauten oder sie als störend empfanden. Harman will Komfort, Entertainment und Sicherheit enger verzahnen. Die ZF-Technologie ist dafür der entscheidende Baustein.
Wettbewerbsvorteil im globalen Rennen
Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Vor allem in China beschleunigt sich die Entwicklung rasant. Konzerne wie Xiaomi oder Huawei integrieren Assistenzsysteme, Software und Nutzererlebnis zunehmend aus einer Hand.
Auch der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer sieht Harman im Vorteil. Im Smart-Cockpit-Segment habe bislang Qualcomm mit seinen Snapdragon-Prozessoren eine dominierende Rolle gespielt. „Mit der ADAS-Einheit von ZF verstärkt sich Harman in diesem wachstumsstarken Geschäftsfeld deutlich“, sagt Dudenhöffer. Für ihn ist der Deal „eine schöne Geschichte“.
Gute Aussichten für die Mitarbeiter
Auch für die Beschäftigten der ADAS-Sparte dürfte der Eigentümerwechsel eher Entlastung bringen. Während ZF Investitionen zuletzt strecken musste, gilt Samsung als finanzstarker, langfristig denkender Konzern. Gerade sicherheitsrelevante Assistenzsysteme sind kapitalintensiv – ohne kontinuierliche Investitionen verlieren sie schnell an Wettbewerbsfähigkeit.
Dudenhöffer erwartet deshalb stabile Perspektiven, insbesondere für den Standort Koblenz. Samsung kann es sich leisten, das Geschäft weiter auszubauen. ZF konnte das zuletzt immer weniger.
Für ZF bleibt die eigentliche Bewährungsprobe
So überzeugend der Deal für Harman ist – für ZF bleibt er ambivalent. Der Verkauf verschafft dringend benötigten finanziellen Spielraum, reißt aber zugleich eine strategische Lücke. Der Konzern verliert einen Zukunftsbereich, statt ihn selbst zu monetarisieren.
Der Erlös aus Korea kann nur ein Anfang sein. Entscheidend wird, ob ZF auch die seit Langem zum Verkauf stehende Airbag-Sparte Lifetec veräußern kann – und ob es dem verbleibenden Konzern gelingt, wieder jene Innovationskraft zu entwickeln, die Käufer wie Harman derzeit ausstrahlen.
Der Notverkauf hat zwei klare Gewinner. Ob er ZF langfristig stärkt, ist damit noch nicht entschieden.


