Alles begann mit einer E-Mail
Eine falsche Adresse, ein falscher Klick – und plötzlich stand das Leben tausender Menschen auf dem Spiel. Im Februar 2022 verschickte ein britischer Beamter versehentlich eine Excel-Datei an einen unbefugten Empfänger.
Der Inhalt: Die vollständigen Kontaktdaten von fast 19.000 Afghanen, die vor der Machtübernahme der Taliban für Großbritannien gearbeitet hatten und auf Aufnahme hofften.
Wenige Tage später landete die Tabelle im Internet. Auf Facebook. Öffentlich. Für jeden sichtbar – auch für die Taliban.
Geheime Umsiedlung in aller Eile
Was dann geschah, war außergewöhnlich – und streng geheim. Die britische Regierung entschied, ohne öffentliche Debatte, ohne Medienberichte, ohne jede Transparenz: Diese Menschen müssen gerettet werden.
Rund 4.500 Afghanen wurden seitdem aus dem Land geholt oder sind gerade auf dem Weg nach Großbritannien. Unter ihnen 900 frühere Ortskräfte – Dolmetscher, Fahrer, Verbindungsoffiziere – und etwa 3.600 Angehörige. Möglich wurde das durch ein stilles Umsiedlungsprogramm, das die Regierung intern koordinierte, nach außen aber totschwieg.

Nachrichtensperre – fast drei Jahre lang
Dass niemand darüber berichten durfte, war kein Zufall. Die Regierung verhängte eine Nachrichtensperre – eine der längsten in der britischen Geschichte. Begründung: Schutz der Betroffenen.
Man fürchtete, dass öffentliche Aufmerksamkeit die Gefahr für die noch in Afghanistan verbliebenen Personen erhöhen könnte. Die Sperre galt für alle Medien. Verstöße hätten strafrechtliche Konsequenzen gehabt.
Erst jetzt, nach einem Gerichtsurteil, wurde das Verbot aufgehoben. Eine unabhängige Untersuchung habe ergeben, so heißt es, dass „kaum Hinweise auf Vergeltung durch die Taliban“ vorlägen.
Der eigentliche Skandal: Dass es überhaupt einer gerichtlichen Intervention bedurfte, um die Öffentlichkeit zu informieren.
Zwei Milliarden Pfund – und ein fader Beigeschmack
Die Aktion war nicht nur heikel – sie war teuer. Schätzungen zufolge hat die britische Regierung rund zwei Milliarden Pfund für das geheime Umsiedlungsprogramm ausgegeben.
Flüge, Unterkunft, Sicherheitsmaßnahmen, Integrationshilfen – all das lief außerhalb der öffentlichen Diskussion. Finanziert wurde aus einem Sonderetat des Verteidigungsministeriums.
Verteidigungsminister John Healey übernahm nun die politische Verantwortung: „Dieser Vorfall hätte niemals passieren dürfen“, sagte er im Unterhaus. Gleichzeitig entschuldigte er sich bei allen Betroffenen und betonte, dass die Fehler unter der vorherigen Regierung passiert seien.

Die stille Seite der Außenpolitik
Was dieser Fall zeigt: Wie schnell politische Verantwortung versagen – und gleichzeitig funktionieren kann. Auf der einen Seite das katastrophale Datenleck, das Menschenleben gefährdete. Auf der anderen Seite ein funktionierender Staatsapparat, der binnen weniger Wochen eine geheime Rettungsaktion organisierte – über Jahre hinweg, unter strengster Geheimhaltung.
Aber: Dass ein demokratischer Staat wie Großbritannien dafür auf Pressefreiheit verzichtet und das Parlament weitgehend außen vor ließ, wirft Fragen auf. War die Nachrichtensperre verhältnismäßig? Warum gab es keine öffentliche Kontrolle?
Ein humanitäres Programm aus der Dunkelkammer
Für die betroffenen Afghanen war das geheime Programm wahrscheinlich lebensrettend. Für die britische Regierung bleibt es ein politisches Eigentor – auch wenn sie sich als Retter in letzter Minute präsentieren kann.
Ein versehentlicher Klick hat ausgereicht, um Menschenleben zu gefährden, Millionen zu kosten und die Pressefreiheit außer Kraft zu setzen. Dass die Öffentlichkeit erst jetzt davon erfährt, ist das eigentlich Erschreckende.
Denn wer kontrolliert eine Regierung, die entscheidet, über was berichtet werden darf – und über was nicht?
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