Ein Steuer-Phantom aus den 30er-Jahren
Wohnen im Eigenheim ist in der Schweiz kein steuerfreies Vergnügen. Seit fast hundert Jahren gilt der sogenannte Eigenmietwert: Hausbesitzer müssen so tun, als würden sie ihre eigene Immobilie vermieten – und diesen fiktiven Ertrag als Einkommen versteuern.
Die Regel stammt aus den 1930er-Jahren, eingeführt, um damals die Rüstungsausgaben zu finanzieren. Überlebt hat sie bis heute, weil sie fiskalisch ergiebig ist – rund 1,8 Milliarden Franken bringt sie jährlich in die Kassen.
Vom Steuervorteil zur Belastung
Lange war die Steuer erträglich, ja für viele sogar ein Nullsummenspiel. Wer Schulden auf dem Eigenheim hatte, konnte Hypothekenzinsen absetzen, dazu Handwerkerrechnungen und Renovierungen. Nicht wenige zahlten am Ende weniger, als sie ohne Eigenmietwert fällig geworden wären.
Doch mit der Ära der Nullzinsen kippte die Logik. Abzüge verschwanden, die Belastung blieb. Heute trifft die Steuer vor allem ältere Eigentümer, die ihre Kredite weitgehend abgetragen haben und kaum noch Kosten gegenrechnen können. Für sie wird der Eigenmietwert zu einer jährlichen Zusatzrechnung – schwer vermittelbar in einem Land, in dem Wohnen ohnehin zu den teuersten der Welt gehört.
„Eine Steuer, die niemand versteht“
Für Ökonomen ist das Prinzip eigentlich bestechend: Wer Kapital in Aktien investiert, muss Dividenden versteuern. Wer Kapital in ein Haus steckt, profitiert von mietfreiem Wohnen – also ebenfalls ein Ertrag.
Doch psychologisch verfängt diese Logik nicht. „Für die meisten Eigentümer ist das Eigenheim ein Zuhause, kein Investment“, sagt eine Zürcher Ökonomin. „Eine Steuer auf etwas, das sich nicht realisiert, wirkt schlicht unfair.“
Genau das hat dazu geführt, dass seit den 1950er-Jahren immer wieder versucht wurde, die Steuer abzuschaffen. Bisher ohne Erfolg.

Am Sonntag geht es ums Ganze
Dieses Mal könnte es anders ausgehen. Das Parlament hat die Abschaffung beschlossen und gleichzeitig eine Zweitwohnsitzsteuer in Aussicht gestellt, um Tourismusregionen zu entschädigen, die bisher stark vom Eigenmietwert profitierten.

Doch das Volk hat das letzte Wort – und die Stimmung ist unklar. Umfragen zeigen: Eine knappe Mehrheit ist inzwischen gegen die Reform. Vor allem Mieter fürchten, dass ihnen am Ende die Milliarden fehlen, die der Staat heute einnimmt.
Ein tiefer Riss durch die Gesellschaft
Die Abstimmung ist längst mehr als eine technische Steuerfrage. Sie ist ein Symbol für die Spaltung zwischen Besitzenden und Nicht-Besitzenden.
- Eigentümer hoffen auf Entlastung, vor allem ältere Bürger ohne Schulden.
- Mieter sehen eine Schieflage – sie zahlen weiter ihre monatliche Miete, während Besitzer von der Steuerlast befreit würden.
Meinungsforscher Lukas Golder spricht von einem „Triggerpunkt Arm gegen Reich“. Die politische Tektonik in der Schweiz verschiebt sich. Linke Anliegen haben seit der Pandemie deutlich häufiger Erfolg. Vertrauen in Regierung und Institutionen ist brüchiger geworden.
Gewinner, Verlierer – und die Rechnung am Ende
Sollte der Eigenmietwert fallen, profitieren vor allem Rentner, die ihre Hypothek abgetragen haben. Verlierer wären die öffentlichen Haushalte – 1,8 Milliarden Franken weniger jährlich.
Die zentrale Frage lautet deshalb: Wer soll diese Lücke schließen? Höhere Abgaben für alle? Oder neue Steuern auf Immobilienbesitz? Genau an diesem Punkt entzündet sich die Debatte über Gerechtigkeit.
Mehr als ein Steuerstreit
Die Abstimmung am Sonntag ist ein Lackmustest: Geht es künftig stärker um individuelle Entlastung oder bleibt die Schweiz bei ihrem traditionellen Modell, Besitz ähnlich zu belasten wie Einkommen?
Wie auch immer die Urnen öffnen – das Thema wird bleiben. Denn am Ende verhandelt die Schweiz nicht nur über eine Steuer. Sie verhandelt darüber, was Eigentum im 21. Jahrhundert bedeutet – Privileg, Belastung oder gesellschaftliche Verantwortung.
