Es ist kein Gesetz, noch nicht. Aber die Drohung wirkt bereits. Seit Donald Trump Mitte Mai verkündete, die Medikamentenpreise in den USA um bis zu 90 Prozent senken zu wollen, ist der Schock in der Branche mit Händen zu greifen.
Die Aktienkurse großer Pharmaunternehmen geben nach, Analysten berechnen Szenarien mit Milliardenverlusten – und Manager weltweit fragen sich, wie ernst es dem früheren und womöglich künftigen US-Präsidenten diesmal ist.
„Wenn Trump es durchzieht, wäre das ein tektonischer Umbruch für unsere gesamte Branche“, sagt ein führender Manager eines DAX-Konzerns im Hintergrund.
Kein Wunder: Die Vereinigten Staaten stellen zwar weniger als fünf Prozent der Weltbevölkerung – tragen aber rund drei Viertel der globalen Pharmagewinne.
Amerikas Goldgrube: Warum Pharma auf die USA nicht verzichten kann
Für viele Pharmakonzerne ist der US-Markt nicht nur der wichtigste, sondern auch der profitabelste – und das mit Abstand. Laut Porsche Consulting stammen im Schnitt 35 Prozent der Umsätze der 20 größten europäischen Hersteller aus den Vereinigten Staaten, oft sogar deutlich mehr.
Bei neuen patentgeschützten Wirkstoffen ist der Anteil noch höher: Rund zwei Drittel des globalen Umsatzes mit neuen Medikamenten werden in den USA erzielt, zeigt eine Analyse von IQVIA.
Entsprechend schmerzhaft könnten sich Trumps Pläne auswirken. Schon bei einer Preissenkung um 50 Prozent würden die Gewinne der Branche um mehr als 60 Prozent einbrechen, rechnen Analysten vor. Wer das auffangen will, müsste seine Kosten um bis zu 15 Prozent senken – in einer forschungsintensiven Industrie ein nahezu utopisches Ziel.
Trump verordnet Preisschock – ohne Rechtsgrundlage?
Noch gibt es keine rechtlich bindenden Regelungen. Aber Trump hat eine Executive Order unterzeichnet, in der er fordert, dass sich Medikamentenpreise künftig an denen anderer Industrienationen orientieren sollen.
„Zu lange haben Amerikaner für dieselben Medikamente ein Vielfaches dessen gezahlt, was im Ausland verlangt wird“, erklärte Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr.
Die Krankenkassen CMS und Medicare haben bereits Zielvorgaben für Preisverhandlungen veröffentlicht – mit spürbaren Folgen an der Börse.
Denn: Auch wenn die juristische Grundlage bisher dünn ist, trauen viele Trump zu, dass er den Preisdruck politisch maximieren wird – notfalls mit Zöllen, Sanktionen oder steuerlichen Hebeln.
Bereits 2018 hatte er versucht, Pharmakonzerne mit einem Repatriierungsdeal zu locken – viele folgten damals nicht. „Das hat er nicht vergessen“, sagt ein Lobbyist aus Washington.

Deutsche Konzerne zwischen Hoffen und Bangen
Besonders betroffen wären Bayer und Merck. Bei Bayer liegt der Umsatzanteil mit verschreibungspflichtigen Medikamenten in Nordamerika bei rund 30 Prozent, bei Merck aus Darmstadt bei etwa 20 Prozent. Offiziell geben sich die Unternehmen gelassen. Man beobachte die Entwicklung, heißt es. Doch hinter den Kulissen herrscht Nervosität.
Auch andere europäische Konzerne wie Roche, Novartis oder Sanofi spüren den Druck. Einige erwägen bereits, in Europa höhere Preise durchzusetzen – in Trumps Sinne. Denn aus seiner Sicht subventionieren die USA seit Jahrzehnten die Gesundheitsversorgung anderer Länder. Das neue Narrativ lautet: „Amerika zuerst – auch bei Medikamenten.“
Werben, zocken, zahlen – das US-System gerät ins Visier
Trump geht es nicht nur um Preise. Er kritisiert auch die aggressive Direktwerbung der US-Pharmabranche. Über zehn Milliarden Dollar investierten die Unternehmen im vergangenen Jahr in TV-Spots, Printkampagnen und Onlineanzeigen – oft für verschreibungspflichtige Mittel. Die US-Regierung erwägt nun strengere Transparenzregeln.
Zugleich steht das System der Zwischenhändler in der Kritik. Nur etwa 40 Prozent jedes in den USA für Medikamente gezahlten Dollars landen tatsächlich bei den Herstellern, der Rest versickert in Vertrieb, Versicherung und Administration. Auch hier könnte Trump ansetzen – und die Branche zwischen regulatorischem Umbau und medialem Dauerfeuer zermürben.
Ein „Deal“ wie 2018? Oder ein kalter Entzug?
Schon 2018 versuchten Hersteller wie Bayer, Trump mit freiwilligen Preisstopps zu besänftigen. Auch heute scheint sich eine ähnliche Dynamik anzubahnen: Gerüchte über einen möglichen „Trump-Deal“ machen die Runde – ein stilles Übereinkommen zwischen Industrie und Präsident.
Doch diesmal könnte es dafür zu spät sein. Denn der mediale Druck ist größer, die wirtschaftlichen Spannungen globaler, der Ton konfrontativer.
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„Trump will gleichzeitig Spitzenmedizin, heimische Produktion und absolute Tiefpreise“, sagt eine deutsche Pharmamanagerin. „Das passt nicht zusammen – und das weiß er auch.“ Die Frage sei nicht, ob er gegen die Industrie vorgeht, sondern wie hart.
Forschung made in America – ein Risiko für morgen?
Noch investiert die Branche massiv in den US-Standort. Allein Roche kündigte im April Investitionen in Höhe von 50 Milliarden Dollar für die nächsten fünf Jahre an. Insgesamt planen die großen Pharmaunternehmen laut Branchendaten rund 270 Milliarden Dollar an neuen Projekten in den USA.
Doch diese Summen stehen nun zur Disposition. Sinkt die Profitabilität, könnten Investitionen nach Asien oder Europa verlagert werden.
Auch die politischen Rahmenbedingungen ändern sich. Die US-Arzneimittelbehörde FDA wurde umstrukturiert, Budgets der NIH-Forschungseinrichtungen gekürzt. Die Unsicherheit wächst – bei Managern wie bei Investoren.
Mehr als ein Preiskampf
Was mit einer markigen Ansage begann, hat sich längst zu einer globalen Kraftprobe entwickelt. Trumps Vorstoß zur Senkung der Medikamentenpreise könnte ein historischer Wendepunkt werden – für die Industrie, aber auch für die Gesundheitsversorgung in den USA selbst.
Denn die Verlierer könnten am Ende nicht nur Aktionäre und Pharmakonzerne sein. Sondern auch Patienten. Und ein System, das jahrzehntelang auf einem unausgesprochenen Deal beruhte: Forschung gegen Marge. Trump ist im Begriff, diesen Deal zu kippen – und stellt damit eine ganze Branche infrage.
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