21. Oktober, 2025

Unternehmen

Die stille Revolution von Riesa – Wie ein italienischer Mittelständler Deutschlands Stahlindustrie herausfordert

Mitten in Sachsen produziert Feralpi grünen Elektrostahl – effizient, klimafreundlich und weitgehend unabhängig von Kohle und Gas. Während die großen Konzerne noch Milliarden in Hochöfen stecken, zeigt ein vergleichsweise kleiner Hersteller, wie Transformation auch pragmatisch geht.

Die stille Revolution von Riesa – Wie ein italienischer Mittelständler Deutschlands Stahlindustrie herausfordert
Im neuen Feralpi-Werk in Riesa schmelzen Elektroden bei 1.650 Grad Altmetall zu grünem Stahl – CO₂-Emissionen: unter 300 Kilogramm pro Tonne.

Ein Werk, das Blitze macht

Es zischt, kracht und flackert grell – in der Kommandozentrale des neuen Feralpi-Werks in Riesa sieht industrieller Fortschritt aus wie ein Gewitter. Wenn die drei glühenden Elektroden über dem Schmelzofen zünden, verwandelt sich Schrott zu flüssigem Stahl. 1.650 Grad, 40 Mal am Tag.

„Wir schaffen oft eine Charge mit unter 470 Kilowattstunden pro Tonne Stahl“, sagt Werksleiter Uwe Reinecke. Sein Stolz ist spürbar.

Das Walzwerk ist kein gewöhnlicher Industriebau. Es steht für eine leise Revolution der Stahlbranche, die Jahrzehnte von Hochöfen, Kohle und Koks geprägt war. Feralpi, ein italienischer Familienkonzern mit gerade einmal 2,5 Millionen Tonnen Jahresproduktion, will beweisen: Dekarbonisierung muss kein Milliardenprojekt sein – sie kann auch aus Mut, Technologie und Effizienz entstehen.

Eine kleine, grüne Schwester der Giganten

ArcelorMittal produziert 26 Mal so viel Stahl wie Feralpi. Doch in Riesa will man nicht Masse, sondern Vorbild sein. Das neue Werk kostet 220 Millionen Euro, beschäftigt 100 neue Mitarbeiter und läuft komplett elektrisch. Der Trick: Der Stahl wird weiterverarbeitet, solange er noch heiß ist – das spart Energie, Zeit und CO₂.

„Unter 300 Kilogramm Emissionen pro Tonne“, steht in Reineckes Mappe. Fast 40 Prozent weniger als noch vor drei Jahren. Der gesamte Stromverbrauch ist auf minimale Verluste ausgelegt, das Werk flexibel steuerbar. Wenn Strompreise steigen, stoppt die Produktion – bei Überschuss wird geschmolzen. Ein Konzept, das an die Zukunft des Strommarkts angepasst ist, nicht an dessen Vergangenheit.

Zwischen Idealismus und Realität

Doch Nachhaltigkeit hat ihren Preis. Noch immer sind viele Bauunternehmen nicht bereit, mehr für grünen Stahl zu zahlen. „Das Verständnis wächst, aber die Zahlungsbereitschaft fehlt“, sagt Reinecke nüchtern. Dabei hängt von dieser Bereitschaft ab, ob die Transformation trägt – oder zur finanziellen Bürde wird.

Feralpi produziert Baustahl, kein Luxusprodukt. Wer die schweren Stahlstäbe über 1.000 Kilometer transportiert, zahlt am Ende mehr für den Diesel als für den Inhalt. Jeder Cent zählt. Der Strom wird deshalb kurzfristig an der Börse eingekauft – riskant, aber notwendig. Sinkt die Nachfrage, steht der Lichtbogen still. „Atypische Netznutzung“ nennt Reinecke das – und lacht trocken: „Flexibilität ist unser Geschäftsmodell.“

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Die Politik bleibt Taktgeber

Trotz aller Effizienz bleibt das Werk abhängig von politischen Entscheidungen. Die Strompreiskompensation, die energieintensive Betriebe entlastet, läuft 2026 aus. Ein Industriestrompreis wie in Frankreich? „Das wird eine lange, harte Debatte“, sagt Reinecke. Von der jüngsten Stromsteuersenkung profitiert Feralpi ohnehin nicht – der Betrieb ist bereits weitgehend befreit.

Immerhin bewegt sich die Bundesnetzagentur: Wer künftig seinen Stromverbrauch zu Spitzenzeiten drosselt, soll niedrigere Netzentgelte zahlen. Reinecke hat nachgerechnet: Für ihn lohnt es sich.

„Zwei, drei Stunden am Abend bleibt der Ofen aus – das spart Geld, ohne dass die Qualität leidet.“

Grüner Stahl braucht Kunden – und Mut

Die Nachfrage nach grünem Stahl ist noch fragil, aber sie wächst. Immer mehr Ausschreibungen verlangen eine CO₂-Bilanz unter 500 Kilogramm pro Tonne. Öffentliche Auftraggeber und Banken mit ESG-Vorgaben achten auf die Herkunft des Stahls – ein kleiner, aber wachsender Markt.

Brüssel will den Prozess beschleunigen. Die EU-Kommission arbeitet an einem „Industrial Decarbonisation Accelerator Act“, der Quoten für grünen Stahl und höhere Zölle auf Importe vorsieht. SPD-Finanzminister Lars Klingbeil zeigt sich offen, doch Experten wie Lukas Hermwille vom Wuppertal Institut warnen: „Die Umsetzung wird kompliziert, weil Vergabeentscheidungen dezentral getroffen werden.“ Ein bürokratisches Mammutprojekt droht.

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Riesa gegen den Rest der Welt

Feralpi glaubt trotzdem an die Marktkräfte. Der Konzern investiert, obwohl sich der Return noch nicht abzeichnet. Der Standort Riesa soll zum europäischen Vorzeigeprojekt für Elektrostahl werden – ein Symbol, dass auch Mittelständler den Klimaschutz stemmen können, wenn Politik und Energiepreise mitspielen.

In den großen Stahlkonzernen schaut man aufmerksam nach Sachsen. Während dort Milliarden in Wasserstoff und Hochöfen fließen, beweist Feralpi, dass Innovation auch ohne Industriegigant möglich ist. „Wir führen die grüne Transformation konsequent fort“, sagt Reinecke. Dann schiebt er nach: „Aber wir müssen auch wieder Geld verdienen dürfen.“

Ein Satz, der das Dilemma einer ganzen Branche beschreibt – und vielleicht ihre Zukunft.

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