Der Absturz ist da – und er trifft den Kern der deutschen Industrie
Keine Trendwarnung, keine Prognose: Die Krise zeigt jetzt Wirkung in den Beschäftigungszahlen. Die deutschen Automobilhersteller und ihre Zulieferer beschäftigen so wenige Menschen wie seit Mitte 2011 nicht mehr.
721.400 Beschäftigte – ein Wert, der nüchtern aussieht, aber eine ganze Branche erzittern lässt. Innerhalb eines Jahres sind 48.700 Stellen verschwunden, ein Rückgang von 6,3 Prozent. In keinem anderen Industriezweig mit mehr als 200.000 Beschäftigten ist die Lage derart dramatisch.
Das Problem: Es geht nicht nur um konjunkturelle Dellen. Die Zahlen zeigen, wie tief strukturell die Krise sitzt.

Zulieferer bluten stärker als Hersteller
Die Statistik legt offen, was Experten seit Monaten vermuten: Die größten Jobverluste finden nicht bei VW, Mercedes oder BMW statt, sondern bei den Zulieferern – dem Rückgrat der deutschen Automobilkette.
Von Motorenkomponenten bis Elektronikmodulen ist der Druck enorm.
- Der Umstieg auf Elektroantriebe macht viele alte Fertigungslinien wertlos.
- Hohe Energiekosten treffen Standorte, die ohnehin kaum Margen haben.
- Globale Wettbewerber – vor allem aus China – attackieren die Branche mit aggressiven Preisen und staatlicher Rückendeckung.
Für manche Mittelständler ist die Transformation nicht mehr Chance, sondern existenzielle Bedrohung.

Der Blick auf die Gesamtindustrie zeigt: Die Krise ist breit – aber nicht überall
In der deutschen Industrie insgesamt gingen im dritten Quartal 120.300 Stellen verloren – ein Minus von 2,2 Prozent.
Doch die Unterschiede zwischen den Branchen könnten größer kaum sein:
- Maschinenbau: –2,2 %
- Chemie: –1,2 %
- Elektrische Ausrüstung: –0,4 %
- Metallerzeugung: –5,4 %
- Elektronik/Optik: –3,0 %
Nur eine große Branche trotzt der Entwicklung:
Die Nahrungsmittelindustrie wächst – um 1,8 Prozent auf 510.500 Beschäftigte.
Das Bild ist eindeutig: Produktionsnahe Industrien mit hoher Energieintensität und globalem Wettbewerbsdruck verlieren. Branchen mit stabiler, heimischer Nachfrage gewinnen.
Makroökonomisch heikel: Der Rückgang ist moderat – aber in gefährlichen Sektoren
Sebastian Dullien vom IMK betont, der Stellenabbau sei gemessen am Einbruch von Produktion und Aufträgen noch moderat. Das stimmt – allerdings ist entscheidend, wo die Jobs verschwinden.
Denn der Verlust trifft:
- Hochqualifizierte Arbeitsplätze
- Innovationsstarke Industrien
- Regionen mit starker industrieller Prägung (Süddeutschland, NRW, Niedersachsen)
Diese Arbeitsplätze lassen sich nicht einfach ersetzen – weder durch Dienstleistungen noch durch staatliche Programme.
Ein Weckruf für die Industriepolitik
Dulliens Hinweis, Deutschland brauche angesichts der US-Subventionspolitik und Chinas Industrieoffensiven eine echte strategische Antwort, könnte kaum aktueller sein.
Deutschland – und die EU – werden kaum darum herumkommen:
- Schlüsselindustrien definieren, statt alles gleichzeitig retten zu wollen.
- Standortkosten senken, vor allem Energiepreise und Bürokratie.
- Technologieoffensiven bündeln – von Batteriezellen über Halbleiter bis Wasserstoff.
- Europäische Lieferketten stärken, um chinesische Dominanz zu reduzieren.
Die Alternative wäre, zuzusehen, wie die industrielle Basis Europas langsam, aber sicher erodiert.
Eine Branche am Scheideweg
Der Beschäftigungsrückgang auf den niedrigsten Stand seit 14 Jahren ist mehr als eine Zahl. Es ist ein Indikator für den Umbruch der gesamten deutschen Volkswirtschaft.
Die Automobilindustrie bleibt zwar exportstark – aber sie verliert an Beschäftigung, an Wertschöpfungstiefe, an globaler Schlagkraft. Für viele Unternehmen ist der gegenwärtige Zustand weniger Transformation als Überlebenskampf.
Die Frage ist nicht, ob die Zahlen ein Alarmzeichen sind.
Die Frage ist, ob die Politik darauf schneller reagiert als die Märkte.


