Deutschland bezieht nahezu sein gesamtes Lithium aus dem Ausland – ein strategisches Risiko in einer Welt, in der Batterien zum Rückgrat der Industrie werden. Nun soll sich das ändern: Das australische Unternehmen Vulcan Energy hat die Finanzierung für ein Milliardenprojekt abgeschlossen, das den Abbau des Schlüsselrohstoffs im Oberrheingraben ermöglichen soll. Für die Bundesregierung ist es ein industriepolitisches Signal: Rohstoffsicherheit soll nicht länger ausschließlich importiert werden.
Ein Milliardenprojekt als Startschuss für eine neue Rohstoffpolitik
2,2 Milliarden Euro umfasst die Gesamtfinanzierung, 150 Millionen davon steuert der deutsche Rohstofffonds bei – seine erste Beteiligung seit der Gründung. Australien flankiert das Projekt über seine Exportkreditagentur, und auch internationale Entwicklungsbanken wie EIB, EDC, Bpifrance und SACE schließen sich an. Die Finanzierungsstruktur zeigt, wie strategisch Lithium inzwischen betrachtet wird: nicht mehr als Rohstoff, sondern als Voraussetzung für industrielle Souveränität.
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche spricht von einer Frage der „nationalen Resilienz“. Die Botschaft dahinter ist klar: Die Energiewende und die Elektromobilität können nur gelingen, wenn zentrale Wertschöpfungsstufen im eigenen Einflussbereich liegen. Dazu zählt auch die heimische Förderung – ein Gedanke, der in Deutschland lange als ökologisch und ökonomisch unrealistisch galt.

Gefördert wird aus geothermischer Sole – und im Doppel wirkt das Projekt wie ein Energiepark
Vulcan Energy plant, Lithiumhydroxidmonohydrat aus geothermischer Sole zu gewinnen. Das Verfahren verbindet Rohstoffförderung mit erneuerbarer Energieerzeugung: Bei der Extraktion entstehen gleichzeitig Wärme und Strom, die in die regionale Versorgung eingespeist werden können. Eine erste Anlage entsteht im südpfälzischen Raum, die Weiterverarbeitung erfolgt im Industriepark Höchst.
Die Bauarbeiten laufen bereits, die kommerzielle Produktion ist für 2028 geplant – zweieinhalb Jahre nach Baustart. Gelingt dies, wäre es das erste großtechnische Projekt in Europa, das Lithium klimaneutral gewinnt und direkt industriell verarbeitet.
Der Markt reagiert skeptisch, die Strategie bleibt langfristig
Trotz der politischen Unterstützung verlor die Aktie von Vulcan am Mittwoch bis zu 14 Prozent. Der Grund ist wenig überraschend: Die Finanzierung geht mit einer Kapitalerhöhung einher, die Aktionäre verwässert. Die Kursbewegung spiegelt daher weniger Zweifel am Projekt als vielmehr die unmittelbaren Kosten der Finanzierung.
Für die Bundesregierung zählt dagegen die langfristige Perspektive. Mit dem Einstieg in den Lithiumabbau will sie verhindern, dass die deutsche Industrie noch tiefer in Abhängigkeiten gerät, die sich in jüngster Zeit als ernstes Risiko erwiesen haben – nicht nur bei Lithium, sondern auch bei seltenen Erden, Graphit und anderen Batteriemetallen.
China bleibt der dominante Anbieter – und das Risiko wächst
Deutschland importiert bislang nahezu 100 Prozent seines Lithiums. Ein großer Teil der Lieferkette, vom Rohstoff bis zur fertigen Batterie, ist in China konzentriert. Die jüngsten Exportbeschränkungen bei seltenen Erden zeigten, wie empfindlich deutsche Produktionsketten auf politische Entscheidungen in Peking reagieren. Viele Unternehmen sahen sich mit Engpässen konfrontiert, ohne realistische Alternativen.

Neue Rohstoffquellen erschließen sich nicht von selbst: Chinas Preisvorteile verhindern seit Jahren den Aufbau globaler Alternativen. Genau hier setzt der Rohstofffonds an. Mit staatlicher Frühbeteiligung sollen Kostenrisiken für Unternehmen abgefedert und Rohstoffprojekte wirtschaftlich machbarer gemacht werden. Deutschland folgt damit Ländern wie Italien und Frankreich, die solche Fonds bereits nutzen, um Versorgungssicherheit zu stärken.
Ein lokales Projekt mit internationaler Bedeutung
Der Lithiumabbau am Oberrhein wird nicht die Importabhängigkeit vollständig aufheben, wohl aber einen Fuß in der Tür sichern. Es ist ein industriepolitischer Testlauf: Kann Europa in strategischen Bereichen eigene Kapazitäten aufbauen, obwohl etablierte Lieferanten billiger sind? Und gelingt es, klimafreundliche Technologie mit wettbewerbsfähigen Kosten zu verbinden?
Der Ausgang wird weit über den Energiesektor hinausreichen. Denn mit dem Projekt entscheidet sich auch, ob Deutschland bereit ist, eine aktivere Rolle in globalen Rohstoffketten einzunehmen – oder ob es beim Importmodell bleibt, dessen Schwächen inzwischen offen zutage treten.



