Rigoroser Start an der Grenze
Alexander Dobrindt hat geliefert. Kaum im Amt, ordnete der neue Bundesinnenminister das an, was seine Wähler erwartet hatten: Kontrollen an den Grenzen, Rückweisungen, ein klares Signal. "Deutschland macht dicht", so lautete die Botschaft.
Und tatsächlich: An der Oderbrücke zwischen Frankfurt und Slubice, an den Straßenübergängen zu Österreich, an neuralgischen Punkten im Grenzgebiet standen binnen Tagen wieder Beamte der Bundespolizei.
Was einst Symbol europäischer Offenheit war, mutierte zum Schauplatz nationaler Handlungsstärke. Dobrindt in Bundespolizei-Uniform, flankiert von Grenzschützern im Regen von Kiefersfelden: Die Bilder waren gesetzt. Und sie kamen an. In ersten Umfragen stieg die Zustimmung für die neue Migrationslinie, Friedrich Merz und die Bundesregierung.
Der Rechtsstaat holt auf
Doch die Euphorie hielt nicht lange. Schon wenige Wochen nach dem Start verpasste das Berliner Verwaltungsgericht dem Projekt eine empfindliche Bremse. Drei somalische Geflüchtete, an der deutsch-polnischen Grenze abgewiesen, klagten – und bekamen Recht.
Der Staat, so das Gericht, dürfe Asylanträge nicht pauschal ignorieren. Selbst dann nicht, wenn die Antragsteller zuvor in einem anderen EU-Staat registriert wurden. Die vielzitierte Dublin-Regel funktioniert in der Theorie, aber eben nicht in der Praxis.
Für Dobrindt eine Niederlage mit Ansage. Aus seinem Haus heißt es inzwischen, man habe "mit so einem Urteil rechnen müssen". Dass es dennoch keine belastbare juristische Vorbereitung gab, wirkt im Rückblick naiv. Die Folge: Symbolpolitik gegen europckblick naiv. Die Folge: Symbolpolitik gegen europäisches Recht.
Polizei im Ausnahmezustand
Gleichzeitig meldet sich ausgerechnet die Bundespolizei selbst zu Wort. Statt Stolz klingt inzwischen Skepsis durch. Tausende Einsatzstunden, ein massiver Personalaufwand, Überstunden, Wochenendarbeit – und das alles für 160 zurückgewiesene Asylbewerber binnen vier Wochen. Zahlen, die Fragen aufwerfen.
"Wir brauchen eine wirksame Migrationspolitik, keine Kulissen", sagt ein erfahrener Beamter in einem internen Lagebericht. Auch die Polizeigewerkschaften zeigen sich zunehmend reserviert. Die DPolG warnt vor einer „insatztaktisch fragwürdigen“ Symboloffensive, die mehr Personal bindet als Ergebnisse liefert. Die GdP merkt an, dass vielerorts schlicht keine Flüchtlinge mehr auftauchten.

Politische Kommunikation statt Lösungen
Dobrindt verteidigt sein Vorgehen. In Interviews verweist er auf Überforderung der Kommunen, auf berechtigte Sorgen in der Bevölkerung, auf Ordnung und Kontrolle. Doch konkrete Antworten auf die Frage, wie eine europarechtskonforme Steuerung der Migration aussehen soll, bleibt er schuldig.
Gerald Knaus, Migrationsexperte und Architekt des EU-Türkei-Deals von 2016, nennt die aktuelle Linie "wirkungslos". Ohne funktionierende Rückführungsabkommen, ohne Kooperation mit Drittstaaten, ohne einen gemeinsamen europäischen Ansatz sei alles andere Show. Auch Daniel Thym, Asylrechtsexperte und Berater der Union, spricht von einem „juristisch unsauberen Schnellschuss“. Eine politische Strategie sei nicht zu erkennen.
Der falsche Beweis
Die Frage bleibt: Geht es um Wirkung oder Wirksamkeit? Innenminister Dobrindt wollte demonstrieren, dass die Union Migrationspolitik kann – hart, effizient, gesetzeskonform. Bekommen hat er einen juristischen Rückschlag, einen aufwendigen Polizeieinsatz mit zweifelhafter Bilanz – und wachsenden Druck, nun mehr als nur Schlagzeilen zu liefern.
Ob die Migrationswende ein Wendepunkt wird oder eine Sackgasse, hängt nicht von Uniformauftritten ab. Sondern davon, ob Dobrindt bereit ist, seine Linie zu korrigieren. Sonst könnte das Projekt, das als Beweis politischer Handlungsfähigkeit geplant war, am Ende genau das Gegenteil demonstrieren.
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