02. August, 2025

Wirtschaft

Deutschland kaputtgespart?

Warum die Haushaltskrise der Kommunen zur Gefahr für die Demokratie wird – und niemand die Verantwortung übernehmen will.

Deutschland kaputtgespart?
Rekorddefizit von 24,8 Milliarden Euro: Nie waren Deutschlands Kommunen finanziell so angeschlagen wie 2024 – das größte Minus seit Gründung der Bundesrepublik.

Ein Rekorddefizit von 24,8 Milliarden Euro, kaum noch funktionierende Rathäuser und Investitionen, die nur noch auf dem Papier existieren: Deutschlands Städte und Gemeinden stehen vor dem Kollaps. Und mit ihnen der Glaube der Bürger an den Staat.

Finanzkollaps in Zeitlupe

Der Demokratieabbau beginnt oft nicht mit Gesetzen – sondern mit einem kaputten Spielplatz. Wenn Jahre vergehen, bis ein Schaukelgerät ersetzt wird, weil im städtischen Haushalt schlicht das Geld fehlt, verlieren Bürger das Vertrauen. Vertrauen darin, dass der Staat funktioniert.

Vertrauen darin, dass Politik überhaupt noch etwas bewirkt. Genau davor warnt Thomas Kufen, CDU-Oberbürgermeister von Essen und stellvertretender Vorsitzender des Städtetags NRW.

„Wenn wir unsere Aufgaben nicht erfüllen können, dann höhlen wir Stück für Stück die Demokratie aus“, sagt er – und bringt damit auf den Punkt, was viele Bürgermeister längst erleben.

Die Fakten sind drastisch: Laut dem neuen Kommunalen Finanzreport der Bertelsmann Stiftung verzeichnen Deutschlands Kommunen 2024 ein historisches Minus von 24,8 Milliarden Euro – das größte seit Gründung der Bundesrepublik. Noch 2022 waren vielerorts Überschüsse verbucht worden.

Doch diese basierten längst auf Sondereffekten – Corona-Hilfen, Einmalzahlungen, Rettungsschirme. Nun sind die Kassen leer. Und mit ihnen die Geduld der Bürger.

Ein Strukturproblem, kein Einzelfall

Die Bertelsmann Stiftung spricht von einer „Zeitenwende“. Nur 16 von 430 nordrhein-westfälischen Kommunen verfügen dieses Jahr noch über einen ausgeglichenen Haushalt.

Investitionsrekord, aber Rückstand wächst: Trotz 52 Milliarden Euro Investitionen in 2024 steigt der Rückstau auf über 215 Milliarden – eine gefährliche Schere.

Besonders tragisch: Der Absturz trifft auch wirtschaftsstarke Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen – die vermeintlichen Lokomotiven der Nation. Dort brachen 2024 die kommunalen Steuereinnahmen ein, während Personal-, Sach- und Sozialausgaben geradezu explodierten.

In Zahlen heißt das:

  • +10 % Ausgabensteigerung allein im Jahr 2024
  • +100 % Personalkosten seit 2014
  • +25 % Anstieg bei Sach- und Sozialausgaben in nur zwei Jahren
  • Gleichzeitig: Stagnierende oder rückläufige Steuereinnahmen

Das Resultat: Investitionen bleiben auf der Strecke – obwohl 2024 mit 52 Milliarden Euro ein Investitionsrekord verbucht wurde, wuchs der Rückstand dennoch auf ein Volumen von 215 Milliarden Euro.

Und der Bedarf für die notwendige Klimaanpassung kommunaler Infrastruktur ist noch nicht einmal eingepreist.

Verantwortung? Keine Zuständigkeit

Die Frage nach der Zuständigkeit bringt vor allem Ausflüchte. Die Bertelsmann Stiftung fordert eine Staatsreform. Der Bund beschließe Aufgaben, die Kommunen finanzieren sollen – ohne dass dafür Geld fließt. Gleichzeitig mahnt Stiftungs-Vorständin Brigitte Mohn:

„Kommunen schultern über 50 % der öffentlichen Investitionen – und sind zentral für sozialen Zusammenhalt.“

Doch was hilft diese Erkenntnis, wenn Land und Bund sich gegenseitig die Verantwortung zuschieben und Lösungen weiter vertagt werden?

Auch der Vorschlag, ein neues Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität aufzulegen, erscheint angesichts der Schuldenbremse wenig realistisch. Noch weniger realistisch ist es, zu erwarten, dass private Investoren die strukturelle Unterfinanzierung mittragen.

Die Bertelsmann Stiftung spricht daher von langfristigen Reformen: ein dauerhaftes Bund-Länder-Sondervermögen, ein Transformationsfonds – oder eben eine tiefgreifende Reform des Staatsaufbaus.

Kollabierende Dörfer, wachsende Politikverdrossenheit

Besonders fatal: Die Finanzmisere trifft zuerst die ländlichen Räume und strukturschwachen Städte. Die fünf ostdeutschen Bundesländer bilden das Schlusslicht – dort liegen 17 der 20 finanzschwächsten Kommunen Deutschlands.

Wo Kita-Plätze fehlen, Schwimmbäder schließen und Ehrenamtliche den Schutt allein wegräumen, wächst die Entfremdung vom politischen System. Die nächste Protestwahl wird zur logischen Folge, nicht zur Ausnahme.

„Wenn wir zeigen wollen, dass dieser Staat funktioniert, müssen wir endlich handeln“, fordert Thomas Kufen. Doch das Zeitfenster schließt sich. Ohne strukturellen Neuanfang, der die kommunale Finanzarchitektur grundlegend überarbeitet, bleibt es bei hilflosen Appellen. Und irgendwann auch ohne Applaus.

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