Die Märkte preisen eine Zinssenkung ein und sehen nur noch ein Risiko
Die Chancen auf eine Zinssenkung der US-Notenbank liegen wenige Tage vor der Entscheidung bei rund 90 Prozent. Für die Börsen ist diese Aussicht längst eingepreist. Kommt der Schritt, wird er kaum noch überraschen. Bleibt er aus, wäre die Reaktion umso brutaler – und genau dieses Szenario wollen die Notenbanker vermeiden.
Die Fed hat Anfang Dezember ihr Straffungsprogramm über die Bilanz gestoppt und sich in eine neutrale Haltung zurückgezogen. Dahinter steht eine Reihe schwächerer US-Wirtschaftsdaten, die Washington zur Vorsicht zwingen. Noch ist der Weg in eine expansive Geldpolitik nicht eingeschlagen – doch der Richtungswechsel ist vorbereitet.
Der bevorstehende Führungswechsel an der Fed wird zum Marktthema
Mit dem Ausscheiden von Jerome Powell rückt automatisch die Frage nach der künftigen geldpolitischen Linie in den Mittelpunkt. Ob Donald Trump tatsächlich seinen Favoriten Kevin Hassett an die Spitze setzt, ist offen. Sicher ist dagegen, dass die künftige Fed-Führung expansiver auftreten dürfte als Powell – und selbst der war kein Vertreter harter Zinsdisziplin.
Für die Monate bis zur offiziellen Ernennung im Mai entsteht damit ein psychologisches Umfeld, das an Börsen traditionell wirkt: permanente Hoffnungen auf weitere Lockerungen, Erwartungen an niedrigere Finanzierungskosten, Argumente für höhere Bewertungen. Genau diese Stimmung könnte den Dax in eine Phase tragen, die bis zum Frühjahr anhält.
Die Lage am Anleihemarkt entspannt sich – und das ist entscheidend für den Dax
Die deutschen Bundesanleihen sendeten zuletzt Warnsignale. Innerhalb weniger Wochen stieg die Rendite der zehnjährigen Titel von 2,55 auf 2,75 Prozent. Ein Durchbruch über 2,80 Prozent hätte den Druck auf Aktien erhöht, zumal die Hochs der Jahre 2025 und 2023 bereits in Sichtweite standen.
Mit der Kehrtwende der Fed sinkt dieses Risiko schlagartig. Geringerer Zinsdruck aus den USA stabilisiert auch den europäischen Rentenmarkt – und schafft dem Dax die Grundlage für eine Erholung. Denn der deutsche Aktienmarkt reagiert stärker auf Zinsen als viele andere Indizes, gerade wegen seiner hohen Industriebeteiligung.
Die Autoindustrie sendet erstmals seit Monaten klare Erholungssignale
Auffällig ist die Widerstandsfähigkeit der Fahrzeugwerte. Volkswagen, BMW, Mercedes-Benz und die Porsche Holding behaupten seit gut einem Jahr ihre Kurszonen, obwohl die Nachrichtenlage vielerorts von Produktionsproblemen, Modellverzögerungen oder Margendruck geprägt war. Diese Stabilität gegen die Botschaft der Schlagzeilen gilt als klassisches Signal für eine Bodenbildung.
Daimler Truck und Continental bewegen sich schon länger in strukturellen Aufwärtstrends. Nun kommt eine politische Komponente dazu: Das Verbrennerverbot in der EU wird aufgeweicht, und die USA lockern Emissionsvorgaben. Für die deutschen Hersteller ist das eine Entlastung an mehreren Fronten. Regulierung wird vom Bremsklotz zum Rückenwind – und genau diesen Effekt hatten die Märkte noch nicht voll eingepreist.
Fundamentale Verbesserungen gewinnen an Gewicht
Die in diesem Jahr durchwachsenen Geschäftszahlen vieler Konzerne waren stark von Sondereffekten und Restrukturierungen geprägt. Absatz und Umsatz selbst liegen meist auf ordentlichem Niveau. Gleichzeitig steigen die Margenerwartungen: Bei Mercedes-Benz helfen Luxussegmente, bei Volkswagen stabilisiert sich die Kernmarke.
Technisch zeigt sich der Trend deutlich. BMW hat die tragende Zone zwischen 85 und 90 Euro überwunden – ein Kaufsignal. Bei Mercedes liegt die nächste Hürde bei rund 62 Euro, bei Volkswagen bei 110 Euro und mittelfristig bei 130 Euro, entsprechend 42 bzw. 50 Euro bei der Porsche Holding. Continental hat den wichtigsten Widerstand bei 59 Euro bereits gebrochen und kann mittelfristig Richtung 70 bis 90 Euro laufen.

Ein Sonderfall: Bayer kämpft um die Wende
Kaum ein Dax-Konzern zeigt derzeit eine so enge Kopplung zwischen Unternehmensnachrichten und Kursbild wie Bayer. Die Aktie prallte mehrfach an der Zone um 30 Euro ab – genau dort, wo die Märkte auf ein Signal im Glyphosat-Komplex warteten. Das mögliche Wohlwollen des US Supreme Court löste schließlich einen dynamischen Anstieg aus.
Positive Studiendaten neuer Medikamente, eine operative Stabilisierung und wachsende Rückstellungen zur Absicherung künftiger Prozesse stärken das Vertrauen. Die nächsten Kursziele der Aktie liegen bei etwa 45 Euro. Doch das Chartbild bleibt sensibel: Ein Rückfall unter 30 Euro würde den Trend gefährden.
Die entscheidende Spanne für den Dax ist klar definiert
Nach dem kurzzeitigen Fall unter 23.000 Punkte liegt der Dax wieder stabil über 23.500 – einer Marke, die für viele quantitative Modelle als Taktgeber dient. Zwischen 23.000 und 24.600 Punkten bereitet der Markt nun die Entscheidung über den nächsten großen Schritt vor.
Im günstigen Szenario erreicht der Index in den kommenden Wochen den oberen Rand dieser Zone. Ein Ausbruch im Januar wäre typisch für Rallyphasen, die von geldpolitischen Erwartungen getragen werden – besonders, wenn zeitgleich die Entscheidung über den künftigen Fed-Chef fällt.
Hält das Umfeld, könnte der positive Trend bis zur Amtsübernahme im Mai 2026 fortbestehen.
Der Ausblick hängt an nur zwei Risiken
Die Perspektive bleibt konstruktiv – aber nicht grenzenlos. Ein Rückfall des Dax unter 23.500 Punkte wäre ein Warnsignal, ein Absinken unter 23.000 Punkte würde den Trend brechen. Und die Inflation könnte in den USA wieder stärker in den Vordergrund rücken, falls die erwartete Lockerung der Fed als zu leichtfertig interpretiert wird.
Doch Stand heute zeigen Zinsen, Branchenstruktur und Marktmechanik in dieselbe Richtung: Die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Hausse sind so gut wie seit Monaten nicht.


