Der deutsche Aktienmarkt hat sich von fast allen Warnungen unbeeindruckt gezeigt. Drei Jahre in Folge legte der Dax jeweils rund 20 Prozent zu. Zollkonflikte, geopolitische Brüche, Inflationsschocks und Rezessionsängste prallten am Markt ab. Ende 2025 notiert der Index bei rund 24.300 Punkten – weit über den Prognosen, die Analysten vor zwölf Monaten abgegeben hatten.
Für 2026 fällt der Blick nüchterner aus. Die große Euphorie ist verflogen, geblieben ist ein vorsichtiger Optimismus. Im Schnitt sehen die vom Handelsblatt befragten Banken und Fondsgesellschaften den Dax Ende 2026 bei rund 26.000 Punkten. Das entspräche einem Plus von etwa sieben Prozent. Kein schlechtes Jahr – aber auch kein viertes Rekordjahr in Serie.
Nach dem Überraschungsjahr beginnt die Phase der Normalisierung
Die Ausgangslage ist ungewöhnlich. Der Dax hat nicht nur stark zugelegt, sondern die Erwartungen systematisch übertroffen. Vor einem Jahr lag das durchschnittliche Kursziel der Institute für Ende 2025 bei gut 21.000 Punkten. Tatsächlich liegt der Index mehr als 3.000 Punkte darüber.

Diese Diskrepanz erklärt, warum Strategen nun vorsichtiger formulieren. Nicht, weil sie mit einem Einbruch rechnen, sondern weil die Messlatte hoch liegt. Sieben Prozent Plus gelten in diesem Umfeld bereits als solides Ergebnis – zumal der langfristige historische Durchschnitt bei rund acht Prozent pro Jahr liegt.
Hinzu kommt: Ein vierter Anstieg um 20 Prozent in Folge würde eine Sonderkonjunktur voraussetzen, die derzeit kaum jemand sieht.
Die Optimisten setzen auf Fiskalpolitik und Industrie
Am oberen Ende der Prognosen stehen Institute, die stark auf staatliche Impulse setzen. Die DZ Bank sieht den Dax Ende 2026 bei 27.500 Punkten, HSBC bei 27.100, Dekabank und Unicredit jeweils bei 27.000 Punkten. Damit trauen sie dem Markt ein weiteres zweistelliges Plus zu.
Das Argumentationsmuster ist ähnlich. Im Zentrum stehen steigende staatliche Ausgaben, insbesondere für Infrastruktur und Verteidigung. Diese Ausgaben wirken nach Einschätzung der Strategen nicht nur auf klassische Rüstungsunternehmen, sondern auch auf Industrie, Logistik, Software und Dienstleistungen.
Birgit Henseler von der DZ Bank verweist darauf, dass die Investitionen breiter wirken als in früheren Zyklen. Verteidigungsausgaben seien heute vernetzt mit Digitalisierung, Sensorik, IT-Sicherheit und Lieferkettenmanagement. Davon profitiere ein großer Teil der im Dax vertretenen Konzerne.
Auch Unicredit erwartet, dass die fiskalischen Programme ab 2026 stärker in den Unternehmensgewinnen ankommen – nicht nur in Deutschland, sondern europaweit.
Globale Konjunktur bleibt robuster als befürchtet
Ein weiterer Stützpfeiler der optimistischen Szenarien ist die Weltwirtschaft. Die meisten Institute rechnen für 2026 mit einem globalen Wachstum von zwei bis drei Prozent. Trotz US-Zöllen und politischer Unsicherheiten funktioniert der Welthandel weiterhin, wenn auch mit veränderten Strömen.
Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater beschreibt den Prozess als Umbau statt als Bruch. Lieferketten würden angepasst, Handelsrouten verlagert, aber nicht zerstört. Deutsche Unternehmen exportierten weniger in die USA, dafür mehr innerhalb Europas. Das stabilisiere Umsätze und Beschäftigung.
Diese Einschätzung erklärt, warum viele Strategen trotz geopolitischer Risiken nicht von einer Rezession ausgehen – sondern von einer moderaten, aber tragfähigen Expansion.
Gewinnwachstum wird zur entscheidenden Variable
Nach Jahren stark steigender Kurse rückt eine alte Börsenweisheit wieder in den Mittelpunkt: Ohne Gewinne kein nachhaltiger Aufwärtstrend. Genau hier setzen die Prognosen an.
Joachim Schallmayer von der Dekabank erwartet für die Dax-Unternehmen 2026 ein Gewinnwachstum von fünf bis zehn Prozent. Die DWS geht sogar von rund zwölf Prozent aus. Treiber sollen Produktivitätsgewinne, Preissetzungsmacht und Effizienzsteigerungen sein – nicht zuletzt durch den Einsatz von KI.
Viele Strategen sehen im KI-Thema keinen kurzfristigen Hype, sondern einen strukturellen Faktor, der Prozesse beschleunigt, Kosten senkt und neue Geschäftsmodelle ermöglicht. Das gelte nicht nur für Tech-Konzerne, sondern auch für Industrie, Chemie und Automobilzulieferer.
Die hohe Bewertung setzt dem Optimismus Grenzen
Gerade weil die Erwartungen an die Gewinne hoch sind, mahnen viele Häuser zur Vorsicht. Der Dax ist heute deutlich höher bewertet als im historischen Durchschnitt. Das von Bloomberg ermittelte Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der erwarteten Gewinne der kommenden zwölf Monate liegt bei rund 15,5 – etwa 20 Prozent über dem Mittel der vergangenen 20 Jahre.
Diese Bewertung begrenzt das Aufwärtspotenzial. Die Privatbank Berenberg, die ebenfalls ein Kursziel von 26.000 Punkten nennt, spricht von hohen Markterwartungen, die wenig Spielraum für Enttäuschungen lassen. Schon kleinere Gewinnverfehlungen könnten deutliche Kursreaktionen auslösen.
Anders gesagt: Der Markt verlangt Lieferfähigkeit. Versprechen allein reichen nicht mehr.
Geldpolitik wird zum Unsicherheitsfaktor
Während die Fiskalpolitik Rückenwind liefert, verliert die Geldpolitik an unterstützender Wirkung. Die meisten Strategen rechnen für 2026 weder in Europa noch in den USA mit aggressiven Zinssenkungen. In der Euro-Zone dürften die Leitzinsen auf dem aktuellen Niveau verharren, in den USA nur vorsichtig sinken.

Besonders aufmerksam beobachten Investoren die langfristigen Anleiherenditen. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen liegt zuletzt bei knapp 2,9 Prozent, 30-jährige Papiere rentieren mit über 3,5 Prozent so hoch wie seit mehr als 14 Jahren nicht. Steigende Renditen machen Anleihen attraktiver – und Aktien im Vergleich weniger alternativlos.
Das erklärt, warum einige Institute deutlich zurückhaltender sind.
Vorsichtige Häuser sehen das Potenzial fast ausgeschöpft
Die Landesbank Baden-Württemberg gehört zu den Skeptikern. Sie sieht den Dax Ende 2026 bei rund 25.000 Punkten – ein Plus von knapp drei Prozent. Für die Strategen dort spiegelt der Markt eine gewisse Sorglosigkeit wider, die gefährlich werden könne.
LBBW-Analyst Berndt Fernow warnt davor, Risiken auszublenden. Die US-Zollpolitik wirke inflationär und konjunkturdämpfend, insbesondere für exportorientierte Länder wie Deutschland. Zudem habe der Dax den Großteil seines Anstiegs bereits im ersten Halbjahr 2025 erzielt und seitdem seitwärts tendiert. Historisch sei das kein starkes Signal für das Folgejahr.
Auch Helaba und Société Générale teilen diese vorsichtige Einschätzung.
2026 wird kein ruhiges Börsenjahr
Unabhängig vom Kursziel sind sich fast alle Strategen einig: Die Volatilität wird zunehmen. Selbst die Optimisten rechnen mit spürbaren Rücksetzern. Zweifel am KI-Boom, politische Überraschungen aus den USA und Schwankungen an den Anleihemärkten dürften immer wieder für Unruhe sorgen.
Das Grundbild bleibt dennoch konstruktiv. Die Mehrheit erwartet steigende Gewinne, eine robuste Konjunktur und keine systemische Krise. Der Unterschied zu den Vorjahren liegt im Tempo. Der Dax wird 2026 voraussichtlich weiter steigen – aber nicht mehr im Gleichschritt mit den außergewöhnlichen Renditen der vergangenen drei Jahre.



