Ein Konzept aus der Krise geboren
Ray Dalio, Gründer von Bridgewater Associates, hat den Anspruch, Märkte zu verstehen, bevor sie kippen. Nach Jahrzehnten an der Wall Street entwickelte er eine Idee, die viele Anleger heute fasziniert: ein Portfolio, das in jeder Wirtschaftslage funktioniert – das „All Weather Portfolio“.
Die Grundidee ist einfach, aber radikal: Wenn niemand weiß, ob die Zukunft Aufschwung, Inflation, Deflation oder Krise bringt, dann sollte ein Portfolio für alle vier Szenarien gewappnet sein. Nicht der Versuch, den Markt zu schlagen, steht im Mittelpunkt, sondern der Schutz des Vermögens – und ein stetiger, ruhiger Ertragsfluss über Jahrzehnte hinweg.
Vier Bausteine, ein Ziel: Stabilität
Dalios Allwetter-Portfolio teilt das Vermögen in vier Anlageklassen auf – jede mit einem klaren Zweck:
- 55 % Staatsanleihen (40 % langlaufend, 15 % mittelfristig)
→ Sie bringen Rendite in schwachen Börsenphasen und stabilisieren das Portfolio, wenn Aktien fallen. - 30 % Aktien
→ Der Motor für Wachstum – typischerweise breit gestreut über große Indizes wie S&P 500, MSCI World oder MSCI Emerging Markets. - 7,5 % Rohstoffe
→ Schützen bei Inflation und wirtschaftlicher Erholung, wenn die Nachfrage nach Energie und Materialien steigt. - 7,5 % Gold
→ Der klassische Krisenschutz – unbestechlich, knapp, und unabhängig von Zentralbanken.
Dalio selbst betont, dass Gold und Rohstoffe nicht Rendite, sondern Sicherheit bieten sollen: ein Gegengewicht zu Zins- und Währungsrisiken.
ETFs machen die Strategie massentauglich
Heute lässt sich Dalios Konzept leicht mit ETFs nachbilden – global, günstig und transparent. Wer etwa in breit gestreute Indexfonds auf Anleihen, Aktien und Rohstoffe investiert, kann die Allwetter-Struktur mit wenigen Produkten abbilden.
Ein Beispiel:
- Anleihen-ETFs auf US-Treasuries oder europäische Staatsanleihen
- Aktien-ETFs auf Welt-, Europa- und Schwellenländerindizes
- Gold-ETCs oder physisch hinterlegte Goldfonds
- Rohstoff-ETFs mit breiter Streuung über Energie, Metalle und Agrarprodukte
So wird eine professionelle Hedgefonds-Idee für Privatanleger zugänglich – ganz ohne Milliardenbudget oder Finanzteam.
Die Schwächen des Systems
Doch auch Dalios „Allwetter“-Ansatz ist nicht unfehlbar. Der hohe Anteil an Staatsanleihen – früher ein Stabilitätsanker – wird im Umfeld steigender Zinsen zum Risiko. Langlaufende Bonds verlieren bei Zinsanstiegen rapide an Wert. Gleichzeitig bleibt das Renditepotenzial in Boomphasen begrenzt, weil Aktien nur rund ein Drittel des Portfolios ausmachen.
Und: In Phasen hoher Inflation – wie zuletzt 2022 und 2023 – wirken gleich mehrere Belastungen gleichzeitig. Steigende Zinsen drücken Anleihen, Inflation frisst reale Erträge, und auch Rohstoffe schwanken stark.
Während des Börsencrashs 2008 verlor Dalios Modell rund 7 % – bemerkenswert wenig, wenn man bedenkt, dass der S&P 500 im selben Zeitraum um 37 % abstürzte. Doch auch das zeigt: Ganz immun ist selbst das „Allwetter“-Portfolio nicht.

Die psychologische Komponente
Der vielleicht größte Vorteil liegt weniger in der Rendite, sondern in der Ruhe, die das Modell bietet. Wer ein solches Portfolio besitzt, muss keine täglichen Kursbewegungen verfolgen. Es zwingt Anleger, diszipliniert zu bleiben – und nicht emotional auf jede Marktnachricht zu reagieren.
Dalio nennt das „radikale Diversifikation“: Verluste in einer Anlageklasse werden durch Gewinne in anderen ausgeglichen. Das Ziel ist nicht, jeden Sturm zu vermeiden, sondern ihn zu überstehen.
Sicherheit hat ihren Preis
Das Allwetter-Portfolio ist kein Wundermittel – aber ein kluges Gegengewicht zu überhitzten Märkten und emotionalem Investieren. Es liefert selten Spitzenrenditen, dafür Stabilität und Planbarkeit.
In einer Zeit, in der Notenbanken Schulden monetarisieren, Währungen schwanken und geopolitische Risiken steigen, klingt Dalios Idee aktueller denn je.
Doch sie hat eine Bedingung: Geduld. Denn wer das Allwetter-Portfolio wirklich versteht, sucht nicht nach der schnellen Chance – sondern nach Ruhe im Sturm.

