Bauen bis zum Milliardenstopp
Während Ministerien sparen, Steuerschätzer warnen und selbst Verteidigungsetats auf Kante genäht sind, wächst im Berliner Regierungsviertel ein Bauprojekt heran, das selbst hartgesottene Haushälter fassungslos macht: Das Bundeskanzleramt wird erweitert – mit Hubschrauberlandeplatz, Wintergarten, und Büroplätzen, die selbst Großkonzerne in Staunen versetzen würden.
Aktuell liegen die veranschlagten Kosten laut Bundesrechnungshof bei rund 800 Millionen Euro. Tendenz: steigend. Interne Schätzungen rechnen längst mit einem Milliardenprojekt – für 590 zusätzliche Arbeitsplätze in Sichtweite des Kanzlerbüros.
Ein Denkmal fürs Einzelbüro
Kritik entzündet sich nicht nur an der Höhe der Ausgaben, sondern vor allem am Denken dahinter. Denn während viele Ministerien längst Desksharing eingeführt haben, klammert sich das Kanzleramt an klassische Präsenzstrukturen.
Flexible Arbeitsformen? Fehlanzeige. Die Begründung: „Spezifische Arbeitsabläufe“. So steht es in einem Brandbrief des Bundesrechnungshofes, der dem Haushaltsausschuss vorliegt.
Die Rechnung ist schnell gemacht: 1.050 Büroplätze für 784 Beschäftigte. Trotz E-Akten, hybrider Kabinettssitzungen und digitaler Staatskunst. Für Gunnar Schupelius, Kolumnist bei WELT TV, ist der Bau deshalb „ein Monument der Steuergeldverschwendung“.

Kita zum Dreifachpreis, Wintergärten fürs Personal
Neben den überdimensionierten Büroflächen kritisieren Prüfer und Politiker auch die Ausstattung. Der geplante Kindergarten soll nach Erkenntnissen des Bundesrechnungshofes rund dreimal so viel kosten wie vergleichbare Einrichtungen.
Auch Wintergärten und aufwendige Technik treiben den Preis. Eine Dachplattform für Hubschrauber ist ebenfalls vorgesehen – obwohl Berlin-Tegel längst Geschichte ist.
Die Baukostenentwicklung erinnert viele an andere Großprojekte – und nicht im positiven Sinne. Bereits 2023 lag der Kostenrahmen bei über 600 Millionen Euro. Innerhalb eines Jahres wuchs die Summe um mehr als 170 Millionen.
Und ein Ende der Preissteigerung ist nicht in Sicht. Baustart war 2022, die Fertigstellung ist für 2027 geplant. Dann dürfte die Milliarde gerissen sein.
Widerstand – ja. Konsequenzen – nein.
Das Erstaunlichste: Der Bau zieht sich über drei Kanzlerschaften – und niemand will ihn wirklich stoppen. Angela Merkel brachte ihn auf den Weg, Olaf Scholz sah keinen Grund zur Umplanung, und Friedrich Merz schweigt bislang auffällig.
Nur Christian Lindner zeigte sich im Jahr 2023 skeptisch und nannte das Projekt mit Blick auf die Homeoffice-Realität „entbehrlich“. Geändert hat das wenig.
Dabei fordert der Bundesrechnungshof seit Jahren ein Umdenken. Schon 2020 wurde die Bundesregierung explizit daran erinnert, dass auch sie zur Flächenreduktion verpflichtet sei.
Doch das Kanzleramt blieb bei seiner Linie – mit Verweis auf Pandemie-Management, Ukraine-Krieg und internationale Krisenlagen. Der Apparat brauche Präsenz. Dass gleichzeitig fast zwei Millionen Bundesbeschäftigte im Homeoffice arbeiteten, ließ man unter den Tisch fallen.
Kritik aus der Wirtschaft
Auch Stimmen aus der Wirtschaft mahnen zur Umkehr. Thorsten Alsleben, Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, bringt es auf den Punkt:
„Die Erweiterung des Kanzleramts entwickelt sich zu einem Mahnmal gegen jede Reform der Bürokratie.“
Sein Vorschlag: Statt weiterer Einzelbüros solle man im Neubau ein Ministerium für Digitalisierung und Bürokratieabbau ansiedeln. Die Symbolik wäre deutlich – und der Druck zur Veränderung endlich greifbar.
Was das Kanzleramt über Deutschland verrät
Der Kanzleramtsneubau ist nicht nur ein Kostenproblem. Er ist ein Symbol für strukturellen Stillstand. Für einen Regierungsapparat, der sich nur schwer an neue Realitäten anpasst. Für eine Staatskultur, die auf Effizienz pocht – aber selbst im eigenen Haus alte Routinen pflegt. Und für eine Politik, die zwar nach außen von Transformation spricht, aber beim eigenen Grundriss lieber alles beim Alten lässt.
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