Der letzte Tacho
Früher roch es in den Werkshallen von Babenhausen nach Lack, Öl und Kunststoff. Die Geräusche der Maschinen prägten den Alltag: Alle 1,6 Sekunden ein Minimotor, Tausende Tachonadeln pro Tag, produziert in Handarbeit und Präzision. Heute ist das alles Geschichte – oder fast.
Continental macht ernst: Der Standort in Südhessen wird Ende 2026 geschlossen – zwei Jahre früher als zunächst geplant.
Der Grund: Der Markt für analoge Kombiinstrumente, einst stabile Ertragsquelle, ist nahezu über Nacht eingebrochen. Schuld daran sind nicht nur neue Kundenvorlieben, sondern ein tiefgreifender Strukturwandel in der Automobilindustrie.
Digitalisierung im Cockpit – und was sie kostet
Die moderne Autowelt ist flach, glatt und leuchtet in HD. Geschwindigkeit, Navigation, Infotainment – alles auf einem zentralen Bildschirm. Die einstigen Ikonen des Fahrerlebnisses – Tachonadel, Drehzahlmesser, Ziffernblatt – sind auf die Screens verbannt worden.
Für Continental war das nicht nur ein technologischer Umbruch, sondern ein wirtschaftlicher Einschnitt. Analoge Instrumente konnte man selbst herstellen, sogar profitabel. Displays hingegen muss man zukaufen.
Und die Software dahinter? Wurde plötzlich zum größten Kostenblock. Statt 20 Entwickler pro Projekt brauchte es nun 200 – nicht selten in Asien. Für Standorte wie Babenhausen bedeutete das: Spielball der Effizienzrechnung. Und am Ende: ein Auslaufmodell.

Der Plan war ein anderer
Noch 2019 war die Zukunft in Babenhausen – wenn auch schon mit angezogener Handbremse. Continental plante einen schrittweisen Rückzug aus der analogen Produktion bis 2028. Doch die Realität überholte das Konzept.
Automobilhersteller stornierten laufende Serien, bestellten weniger, zogen Produktlinien vorzeitig ab. Der Umstieg auf digitale Cockpits kam schneller, als selbst Optimisten glaubten. Die Konsequenz: Continental musste früher reagieren – und schloss die Fertigung vorzeitig.
Was bleibt, ist ein kontrollierter Rückzug
Die Einigung mit der Belegschaft gilt als vergleichsweise sozialverträglich. Wer geht, bekommt zwischen 10.000 und 35.000 Euro zusätzlich – je nach Alter, Betriebszugehörigkeit und Gehalt. Die maximale Abfindung liegt bei 200.000 Euro – mit Ausnahmen.
Ein Teil der Belegschaft konnte in eine Transfergesellschaft wechseln, andere gehen in Frühverrentung. Für 50 Mitarbeitende gab es Versetzungsangebote nach Frankfurt. Die letzten Maschinen wurden bereits nach Rumänien verladen – dort wird weiter produziert, kostengünstiger.
Der Rest? Wird stillgelegt, verkauft oder verschrottet.
Die stille Erosion eines Standorts
Wo früher Maschinenlärm herrschte, ist es heute leise. In Halle B9 geht nach der Frühschicht das Licht aus, auf dem Parkplatz gibt es keine Parkplatznot mehr.
In den Fluren stehen noch Kittelspinde, aber niemand kämpft mehr darum. Die Fertigungshallen wirken entkernt, leere Bodenanker zeigen, wo einst Spritzgussmaschinen standen.
2019 waren es noch 3.500 Menschen, die hier arbeiteten. Heute sind es knapp 1.650. Wenn die Tore 2026 schließen, bleiben noch rund 700 – hauptsächlich in der Entwicklung. Aber auch das ist nur eine Momentaufnahme.
Ein Lehrstück über Disruption
Die Geschichte von Babenhausen ist keine über Missmanagement oder fehlende Innovation. Sie ist ein Lehrstück darüber, wie schnell technologische Trends ganze Wertschöpfungsketten hinwegfegen können – selbst in traditionsreichen Industrien.
Wer nicht frühzeitig auf digitale Kompetenz, Softwareentwicklung und flexible Lieferketten setzt, verliert. Und zwar nicht nur Marktanteile, sondern auch ganze Standorte.
Continental wird überleben. Der Standort Babenhausen nicht.
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