17. November, 2025

Wirtschaft

China-Boom statt China-Schock: Warum Europas Logistiker plötzlich Rekordzahlen schreiben

Während Politiker über De-Risking sprechen und Unternehmen vor geopolitischen Abhängigkeiten warnen, brummt ausgerechnet das China-Geschäft der großen europäischen Hafen- und Reedereikonzerne wie seit Jahren nicht mehr.

China-Boom statt China-Schock: Warum Europas Logistiker plötzlich Rekordzahlen schreiben
Container im Dauerlauf: Trotz politischer Eiszeit wächst der Handel zwischen China und Europa – und beschert den Logistikern ein Comeback, das kaum jemand erwartet hatte.

Container statt Krisenrhetorik: Chinas Warenströme treiben Europas Häfen an

Die Zahlen sind eindeutig, und sie lassen kaum Raum für Interpretationen: Europas Häfen erleben einen Aufschwung, den viele für ausgeschlossen hielten. Ausgerechnet jene Logistiker, die seit Jahren als geopolitisch verwundbar gelten, melden nun ein Wachstum, das die politischen Debatten glatt konterkariert.

Die neue Quartalsbilanz der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) ist ein Beispiel dafür. Ein Plus von mehr als 30 Prozent beim Umsatz in den ersten neun Monaten – das stärkste Wachstum seit einem Jahrzehnt. Dazu eine operative Marge, die sich deutlich erholt. Für ein Unternehmen, das zuletzt mehr mit Standortdebatten, Gewerkschaftskonflikten und Schrumpfprognosen Schlagzeilen machte, ist das ein fast schon spektakulärer Befreiungsschlag.

Dass der frisch gestartete Vorstandschef Jeroen Eijsink dafür verantwortlich ist, wäre allerdings eine Märchenversion. Der Niederländer ist erst seit dem 1. Oktober im Amt. Der Boom hat andere Gründe – und einer davon ist unübersehbar: China liefert wieder. Und zwar im großen Stil.

Der China-Boom hinter den Kulissen

Während die politische Rhetorik zwischen Berlin, Brüssel und Peking zunehmend frostig klingt, dreht sich das Frachtgeschäft zwischen China und Europa schneller als erwartet.

Die HHLA-Terminals schlugen in den ersten neun Monaten fast 7 Prozent mehr Container um. Maßgeblicher Treiber: die Routen zwischen Fernost und Europa. Besonders stark: China. Dazu kommen Zuwächse aus Südamerika und Afrika.

Auch Hapag-Lloyd spürt den Rückenwind. „Der Markt läuft deutlich besser als viele gedacht haben“, sagte Konzernchef Rolf Habben Jansen. Die Containermengen stiegen bei der Reederei insgesamt um 9 Prozent, die China-Verkehre sogar um knapp 10 Prozent. Für ein Unternehmen, dessen Gewinne während der Pandemie durch die Decke gingen, ist selbst ein Ergebniseinbruch von knapp einem Viertel kein Grund zur Sorge: Mit 2,8 Milliarden Euro verdient Hapag immer noch beeindruckend viel.

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Warum jetzt – und warum so plötzlich?

Die Ursachen für den Boom sind vielschichtig – und sie geben Hinweise darauf, wie fragil dieses Wachstum tatsächlich ist.

1. Vorzieheffekte vor möglichen Handelsstörungen
Ein Teil des Einkaufsbooms dürfte schlicht taktisches Verhalten sein. Bevor Zölle steigen oder politische Spannungen eskalieren, sichern Händler ihre Lager. In manchen Segmenten wird bereits von „Hamsterkäufen im Großhandel“ gesprochen.

2. Umleitungen wegen US-Zöllen
Chinesische Exporteure, die in den USA wegen verschärfter Handelspolitik weniger verkaufen können, weichen verstärkt nach Europa aus. Rund 2,5 Prozentpunkte des China-Booms in der EU gehen laut Kieler Institut für Weltwirtschaft auf diese Umwege zurück.

3. Europäische Händler rüsten für die Weihnachtszeit
Ob Elektrogeräte, Haushaltswaren oder Unterhaltungselektronik: Das Weihnachtsgeschäft wird in Europa weiterhin zu großen Teilen aus chinesischen Lieferketten gespeist. Und dieses Jahr stocken Händler besonders intensiv auf.

4. Elektroautos als neuer Frachtblock
China exportiert so viele E-Autos nach Europa wie nie. BYD, SAIC und Geely fluten die Märkte – und füllen die Schiffe.

Europas Exporte nach China? Eher mau

So stark der Importboom wirkt, so ernüchternd ist die Gegenrichtung. Maschinen, Autos, Spezialtechnik – klassische europäische Exportgüter – laufen weiterhin schwach in China. Es ist ein Ungleichgewicht, das die politische Dimension unterstreicht: Wirtschaftlich profitieren derzeit vor allem die Logistiker. Die Industrie weniger.

Hapag-Chef Jansen beschreibt es trocken: „Von Europa nach China sind die Warenströme viel schwächer.“

Eine Wette auf die Zukunft – oder ein neues Risiko?

Bemerkenswert ist, wie stark die Reedereien trotz der Unsicherheiten investieren. Hapag-Lloyd bestellt 22 neue Schiffe, vor allem kleinere Einheiten für flexible Routen. Branchenanalysehäuser wie Alphaliner warnen bereits vor Überkapazitäten – ein klassisches Muster in der Schifffahrt, das in den kommenden Jahren die Frachtraten drücken könnte.

Doch die Unternehmen scheinen an ein robustes Wachstum zu glauben. Vielleicht, weil eine neue Ära im asiatischen Handel beginnt.

Der neue Star im Osten: Indien tritt aus Chinas Schatten

Fest steht: Die Logistikbranche schaut längst nicht mehr nur auf China. Indien wächst, die Mittelschicht expandiert, internationale Konzerne investieren Milliarden – auch DHL, das gerade 1 Milliarde Euro für Lager- und Versandnetze in Indien angekündigt hat.

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Wenn China irgendwann schwächelt, hoffen Logistiker auf eine zweite Wachstumswelle, die von Mumbai, Chennai und Bengaluru ausgeht. „Eine Wette mit offenem Ausgang“, sagt Experte Jan Tiedemann. Doch eine, die sich lohnen könnte.

Die Realität ist komplizierter als das politische Framing

Europa spricht über „Risikoabbau“, aber die Häfen sehen Rekordvolumen. China bleibt politisch schwieriger Partner, aber wirtschaftlich verlässlicher Lieferant. Die Logistikbranche wird zum Brennglas dieser Ambivalenz: Sie zeigt, dass geopolitische Erzählungen und ökonomische Fakten derzeit aneinander vorbeilaufen.

Dass der Boom bleibt, ist keineswegs sicher. Doch er zeigt, wie stark die Verflechtungen noch immer sind – und wie groß der Abstand zwischen politischer Symbolik und ökonomischer Wirklichkeit geworden ist.

Und genau darin liegt der eigentliche Trend der kommenden Jahre: nicht in der Entkopplung, sondern in der Kunst, mit einer Welt voller widersprüchlicher Abhängigkeiten zu wirtschaften.

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