Jobcenter auf Tour – und niemand öffnet
„Wir suchen Ihren Mann“ – der Satz, mit dem Marcel Eichenseher an der Wohnungstür in Berlin-Schöneberg steht, klingt höflich, fast dienstbeflissen. Doch in Wahrheit steckt dahinter Frust.
Seit Jahren erscheint Issam H. nicht mehr im Jobcenter, hat kein Arbeitsangebot angenommen, keine Bescheinigung geliefert, dass er nicht arbeiten kann. Und trotzdem: Monat für Monat fließt Geld.
Die Szene steht sinnbildlich für das, was Jobcenter-Mitarbeiter in deutschen Großstädten zunehmend erleben. Schriftliche Einladungen bleiben unbeantwortet, Anrufe laufen ins Leere, Hausbesuche enden oft vor verschlossenen Türen.
Und selbst wenn jemand da ist, endet das Gespräch selten mit Ergebnissen – sondern mit Formularen. Viel Papier, wenig Wirkung.
Viel Aufwand, kaum Hebel
Eigentlich klingt die Linie der neuen Bundesregierung eindeutig: „Wer arbeiten kann, muss arbeiten.“ Doch im Alltag der Jobcenter wirkt dieser Satz wie aus einem Paralleluniversum.
Denn um Leistungen zu kürzen, braucht es Belege. Und die fehlen oft – nicht nur, weil Bürgergeldempfänger sie nicht liefern, sondern weil das System die Anforderungen kaum durchsetzen kann.
Eichenseher und sein Kollege Becker sehen das täglich.
„Oft wissen wir nicht mal, ob die Leute wirklich noch in der Wohnung leben“, sagt er.
Briefkästen mit sechs Namen, nie geklärte Aufenthaltsorte, medizinische Atteste, die nie eingereicht werden. Die Mühlen der Bürokratie mahlen – doch sie treffen oft ins Leere.

Kein Geld ohne Mitwirkung? Schön wär’s
Die Behördenleiterin Elena Zavlaris spricht offen über ein System, das sich selbst im Weg steht. Wer – wie Issam H. – gar nicht erst zu Terminen kommt, kann schwerlich sanktioniert werden.
Eine Streichung des Bürgergeldes ist rechtlich nur möglich, wenn konkrete Arbeitsangebote nachweislich abgelehnt werden. Doch wie soll das gehen, wenn der Betreffende gar nicht auftaucht?
„Viele Menschen haben sich im Bürgergeld eingerichtet“, sagt Zavlaris nüchtern.
Man könne nicht pauschal behaupten, dass alle nicht arbeiten wollen – viele bräuchten Hilfe. Aber ebenso falsch sei die Vorstellung, es gebe keine systematische Ausnutzung. Das System lasse es zu. Und: Es signalisiere zu oft, dass es keinerlei Folgen hat, sich der Mitwirkung zu entziehen.
Zahlen, die blenden
Offiziell sanktionieren die Jobcenter weniger als fünf Prozent aller Bürgergeldempfänger. Die Zahl derer, die Termine nicht wahrnehmen oder sich nicht melden, liegt in vielen Bezirken aber bei über 50 %.
„Das passt nicht zusammen“, sagt Zavlaris. Die Debatte werde oft ideologisch geführt – statt ehrlich über die strukturellen Probleme zu sprechen.
Auch die vielzitierte Zahl von 16.000 verweigerten Arbeitsangeboten im Jahr sei kaum aussagekräftig, weil sie nur jene Fälle erfasse, bei denen alle Bedingungen erfüllt sind – also auch ein dokumentiertes Jobangebot und eine aktive Weigerung. Die Dunkelziffer sei um ein Vielfaches höher.
Zwischen Schwarzarbeit, Sucht und Schicksal
Was der Alltag der Jobcenter-Mitarbeiter ebenfalls zeigt: Viele Fälle sind tragisch. Krankheit, psychische Probleme, Sucht oder Armut machen den Schritt zurück in Arbeit oft unmöglich. Wie bei Janine Bauer.
Die 29-Jährige hat eine erschütternde Lebensgeschichte – Drogenerfahrung, ein totes Kind, körperliche Leiden. Sie sagt, sie wolle arbeiten. Aber es ist unklar, ob sie das überhaupt kann.
Für Eichenseher ist das keine Ausnahme. „Manche Fälle sind nicht lösbar“, sagt er. Da helfe keine Sanktion und keine Androhung. Da brauche es ganz andere Antworten – medizinisch, sozial, langfristig.
Was bleibt vom Versprechen?
Die Bürgergeld-Reform sollte Vertrauen schaffen. In die Arbeitsmarktpolitik, in den Sozialstaat, in die Fairness gegenüber denen, die arbeiten. Doch nach zweieinhalb Jahren sind die Ergebnisse ernüchternd: Die Zahl der Jobaufnahmen sinkt, viele Stellen bleiben unbesetzt – obwohl der Bedarf da ist.
Zugleich wächst der Frust – bei Jobcenter-Mitarbeitern, in der Bevölkerung, in der Politik. „Das Bürgergeld ist kein bedingungsloses Grundeinkommen“, sagte Ex-Arbeitsminister Heil. Doch viele empfinden es mittlerweile genau so.
Politik unter Druck – und ein System am Limit
Die neue Regierung will nun nachschärfen. Schnellere Sanktionen, mehr Mitwirkungspflichten, bessere Kontrollmöglichkeiten. Doch all das greift nur, wenn es in der Praxis auch umsetzbar ist.
Und genau hier liegt das Problem: Ein überreguliertes, zahnloses System trifft auf soziale Realitäten, die mit Formularen nicht zu bändigen sind.
Ein starker Sozialstaat muss Regeln durchsetzen
Ein Sozialstaat, der hilft, wo Hilfe nötig ist, bleibt richtig. Aber er muss auch wehrhaft sein – gegenüber Ausnutzung, Desinteresse und Stillstand. Das Bürgergeld war gut gemeint. Doch was in den Fluren der Jobcenter passiert, zeigt: Gut gemeint reicht nicht.
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