Berlin als Brennpunkt
Ein Freitagabend auf der Museumsinsel. Drei junge Syrer laufen in Richtung Stadtschloss, als eine Gruppe von 15 Männern auf sie zustürmt. Messerstiche, Panik, Schreie.
Wenig später stirbt ein 20-Jähriger auf der Intensivstation. Die Polizei spricht von „einer Gruppe Afghanen“. Nur Wochen zuvor war es am selben Ort bereits zu einem blutigen Streit gekommen.
Solche Szenen sind längst kein Einzelfall mehr. In der Polizeisprache taucht dafür inzwischen ein neuer Begriff auf: „Klärungsdelikte“. Gemeint sind Schlägereien und Messerattacken, bei denen es um gekränkte Ehre oder Nichtigkeiten geht. Am Ende weiß niemand mehr, warum es überhaupt eskalierte – nur, dass es wieder Verletzte oder Tote gibt.
Gewalt mit System
Ein Blick in die Zahlen offenbart das ganze Ausmaß. Rund 74.000 Gewalttaten im öffentlichen Raum zählten die Polizeibehörden im vergangenen Jahr. Fast jedes Bundesland meldet steigende Fälle.
- In Köln-Mülheim schnellten gefährliche Körperverletzungen seit 2019 um 80 Prozent in die Höhe.
- Am Alexanderplatz in Berlin hat sich die Zahl schwerer Körperverletzungen in fünf Jahren verdoppelt.
- Im Alten Botanischen Garten in München wuchs die Kriminalität seit 2019 um fast 600 Prozent.
Und nicht nur im Süden brodelt es. Kiel meldet ein Plus von 18 Prozent, Rostock von 60 Prozent, Schwerin von 37 Prozent.

„Wir sehen ein neues Phänomen“
Die Tätergruppen folgen keinem einfachen Schema. Sie sind multiethnisch, polykriminell, oft durch ein Viertel oder ein Hochhaus verbunden.
„Der einende Faktor ist das Quartier, nicht die Herkunft“, sagt Baden-Württembergs LKA-Präsident Andreas Stenger.
Seine Behörde richtet eine Spezialeinheit für subkulturelle Gewalt ein. Mit Analysten, OSINT-Rechercheuren und operativen Kräften will man Konflikte frühzeitig erkennen. Auch andere Bundesländer rüsten auf: Leipzig verstärkte die Einheit gegen Intensivtäter, Dresden gründete die Soko „Iuventus“, Zwickau die Ermittlungsgruppe „Aura“.

Kinder und Jugendliche im Zentrum
Besonders alarmierend: immer jüngere Täter. In Bayern wurden 2024 über 14.000 Gewaltdelikte von Jugendlichen registriert – mehr als vor Corona. Hessen meldet über 3.400 Taten von Unter-21-Jährigen, ein Rekordwert.
Laut Kriminalstatistik stieg die Zahl tatverdächtiger Kinder bis 14 Jahre um 11,3 Prozent, bei Jugendlichen um 3,8 Prozent. Damit liegt die Jugendkriminalität auf dem höchsten Stand seit über einem Jahrzehnt.
Psychologe Lars Riesner beschreibt ein wiederkehrendes Muster: Viele Jugendliche deuteten neutrale Situationen als feindselig und glaubten, Gewalt sichere ihnen Respekt. „Hinzu kommt die Peergroup, die dieses Verhalten verstärkt“, sagt er.

Politik zwischen Prävention und Härte
Die Bundesländer reagieren unterschiedlich. Niedersachsen setzt auf Jugendfachkommissariate, Bremen auf schnelle Interventionsteams. Hessen investiert in Prävention an Schulen, Bayern in ein neues Gesamtkonzept gegen Kinder- und Jugendgewalt. Berlin und Brandenburg suchen die enge Zusammenarbeit mit Eltern und Schulen.
Doch Einigkeit herrscht über eines: Die Polizei kann das Problem nicht allein lösen. „Wir erleben eine fortschreitende Verrohung der Gesellschaft. Die Ursachen liegen tiefer“, warnt Sachsens Innenminister Armin Schuster.
Ein gefährlicher Trend ohne schnellen Ausweg
Ob in Berlin, München oder Rostock – öffentliche Orte werden zunehmend zu Schauplätzen brutaler Gewalt. Zahlen steigen, Taten werden härter, Täter jünger. Ermittler, Politiker und Psychologen suchen nach Strategien. Doch bislang überwiegt Ernüchterung: Die Gewalt wächst schneller, als die Gesellschaft ihr etwas entgegensetzen kann.
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