Der Kurssturz kam schnell, die Erholung ebenso. Nach einer Verkaufswelle, die am Montag knapp eine Milliarde Dollar an frischen Hebelpositionen auslöschte, kletterte Bitcoin am Dienstag um bis zu 6,8 Prozent auf 92.323 Dollar. Ether gewann mehr als acht Prozent, kleinere Token wie Solana, Cardano oder Chainlink sogar über zehn Prozent. Auf den ersten Blick sieht das nach einer steilen Gegenbewegung aus – tatsächlich aber spiegelt die Rally vor allem eine kurze Entspannung in einem überlasteten Markt.
Politische Signale und ein Kurswechsel bei Vanguard stabilisieren die Lage
Für den ersten Auftrieb sorgten gleich mehrere Nachrichten, die institutionelle Investoren aufmerksam machten. SEC-Chef Paul Atkins kündigte an, bald Details zu einer „Innovation Exemption“ für Digitalfirmen zu präsentieren – ein Signal, dass die US-Regulatoren den Kryptomarkt stärker einbinden statt weiter ausbremsen könnten. Gleichzeitig öffnet Vanguard seine Plattform für ETFs und Fonds, die direkt Kryptowährungen halten. Das ist bemerkenswert, weil der Vermögensverwalter bisher zu den entschiedensten Gegnern von Krypto-Investments zählte.
Marktbeobachter wie Jasper De Maere von Wintermute sehen in der Gegenbewegung vor allem das Zusammenspiel dieser Nachrichten mit einer technischen Überreaktion: „Krypto holt gerade nach, was die übrigen Märkte bereits eingepreist haben.“
Eine Entwarnung kam ausgerechnet von MicroStrategys Nachfolgerin
Für zusätzliche Stabilisierung sorgte eine Nachricht, die am Vortag noch den Ausverkauf ausgelöst hatte. Der CEO von Strategy Inc. – der ehemaligen MicroStrategy – hatte angedeutet, notfalls Bitcoin verkaufen zu müssen, um Schulden zu bedienen. Das löste Panik aus, bis das Unternehmen wenige Stunden später ein 1,4-Milliarden-Dollar-Reservepolster ankündigte.
Trader wie Spencer Hallarn von GSR werten diese Kehrtwende als positives Risiko-Management: „Die Wahrscheinlichkeit eines extremen Notverkaufs sinkt damit.“ Doch die Episode zeigt, wie anfällig der Markt bleibt, sobald große Wallets oder prominente Investoren ihre Strategien ändern.
Der Markt befindet sich weiterhin im Stressmodus
Trotz der Erholung sendet der Markt Warnsignale. Der Bitcoin-Funding-Satz ist erstmals seit Wochen negativ – ein Zeichen, dass mehr Händler auf fallende Kurse setzen als auf steigende. Laut CryptoQuant ist der Anteil an Short-Positionen im Perpetual-Futures-Markt deutlich gestiegen. Trader beobachten dieses Signal genau: Negative Funding Rates gelten oft als Startpunkt für volatile Seitwärtsphasen.
Auch institutionelle Investoren halten sich zurück. Viele warten offenbar auf die Entscheidung der US-Notenbank in der kommenden Woche, bevor sie neues Risiko aufbauen. Bis dahin bleibt der Handel dünn – und damit anfällig für starke Ausschläge.
Der Schaden der vergangenen Wochen ist nicht vergessen
Bitcoin hat seit seinem Rekordhoch Anfang Oktober rund 30 Prozent verloren. In der Abwärtsphase wurden rund 19 Milliarden Dollar an gehebelten Positionen liquidiert – ein historischer Wert, der die Marktstruktur sichtbar geschwächt hat. Die Folge sind enge Liquiditätsschichten, in denen einzelne Großorders die Kurse abrupt bewegen können.

Die Turbulenzen haben auch politische Meme-Token erfasst, die mit Donald Trump und seiner Familie verbunden sind. Der Kurs des Miners American Bitcoin Corp., mitgegründet von Eric Trump, brach am Dienstag zeitweise um über 50 Prozent ein. Mehrfach mussten Handelsunterbrechungen greifen. Die Token TRUMP, WLFI und MELANIA notieren sämtlich weit unter ihren Jahreshochs – ein Hinweis darauf, wie schnell spekulative Nebenwerte bei Stress aus dem Markt gespült werden.
Anleger parken Geld am Rand – und warten ab
Eine weitere Besonderheit dieser Marktphase: Die Bestände an Stablecoins wie USDT und USDC steigen. Das deutet darauf hin, dass viele Anleger Kapital gezielt aus Risikoassets ziehen, aber nicht abziehen – ein Verhalten, das typischerweise in späten Korrekturphasen zu beobachten ist. Die Liquidität steht bereit, aber niemand platziert sie aggressiv im Markt.
Der Fear-and-Greed-Index von CoinMarketCap verharrt seit drei Wochen im Bereich „extreme fear“. Für Trader ist das ein paradoxes Signal: Es markiert oft den Boden einer Korrektur, spiegelt aber zugleich die Nervosität wider, mit der sich selbst erfahrene Marktteilnehmer derzeit bewegen.
Ein Markt zwischen Panik und Erholung
Die Erholung über die Marke von 90.000 Dollar ist ein wichtiges psychologisches Signal. Doch sie ersetzt nicht die strukturellen Belastungen: hohe Short-Positionen, ausgelöschte Hebelwetten, zögerliche Institutionen und eine Marktstimmung, die auf Messers Schneide steht.
Der Kryptomarkt wirkt, als habe er den heftigsten Druck abgeschüttelt – aber die Nerven liegen weiter blank. Von stabilen Verhältnissen ist er weit entfernt. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob die Rally mehr ist als ein Aufatmen nach einem Schock.


