Die Verwaltungsgerichte in Sachsen sind überlastet – und das liegt nicht an zu vielen Baugenehmigungen oder zu langen Bearbeitungszeiten für Anwohnerklagen.
Der Grund ist klar und eindeutig: Asylverfahren dominieren das Tagesgeschäft. Aktuell macht diese Verfahrensart über die Hälfte aller anhängigen Fälle aus. Die Justiz, ein Kernpfeiler des demokratischen Rechtsstaats, ist in zentralen Bereichen faktisch blockiert.
Asylrecht dominiert Verwaltungsjustiz
Allein im ersten Quartal 2025 gingen 3.157 neue Asylverfahren in Sachsen ein – beinahe eine Verdopplung gegenüber dem Vorjahr. Besonders betroffen sind die Verwaltungsgerichte in Dresden, Chemnitz und Leipzig.
Sie tragen die Hauptlast und versuchen, mit regulären Kapazitäten einen Sonderbetrieb zu stemmen.
Die Verwaltungsrichterinnen und -richter dort haben 1.925 Verfahren im selben Zeitraum abgearbeitet – ein Plus von 600 gegenüber dem Vorjahr. Doch das reicht nicht. Die Rückstände wachsen trotzdem weiter.

„Die Asylverfahren stellen eine außerordentliche Belastung der Verwaltungsgerichte dar“, sagt Robert Bendner, Sprecher des Verwaltungsgerichts Dresden. Und er bleibt mit dieser Einschätzung nicht allein.
Ein ganzer Arbeitstag für einen Fall – mindestens
Viele dieser Verfahren sind aufwendig, selbst wenn keine Beweisaufnahme notwendig ist. Ein einziger Fall kann einen Richter oder eine Richterin einen ganzen Arbeitstag beschäftigen – auch ohne Komplexität oder Konflikte.
Problematisch wird es, wenn medizinische Atteste, fehlende oder zweifelhafte Dokumente und komplexe Herkunftsbegründungen hinzukommen. All das ist bei Asylverfahren keine Seltenheit, sondern eher die Regel.
Dabei wirkt der Druck von oben bereits: Das europäische Asylrecht, das Mitte 2026 in Kraft treten soll, sieht kürzere Bearbeitungsfristen vor – konkret sechs Monate.
Aktuell liegt die durchschnittliche Verfahrensdauer in Sachsen bei 16,1 Monaten. Selbst wenn alle Beteiligten doppelt so schnell arbeiten würden, wäre der neue Rahmen kaum einzuhalten.

Mehr Klagen – geringe Erfolgsquote
Die Zahl der Asylklagen steigt rasant: Von Januar bis April 2025 wurden 1.553 neue Klagen registriert, doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum 2024. Der Großteil entfällt auf Antragsteller aus Venezuela (868 Fälle, gegenüber 241 im Vorjahr). Auch afghanische Klagen haben zugenommen – von 29 auf 108.
Und doch: Die Erfolgsquoten sprechen eine andere Sprache. In 71 Prozent der Hauptsacheverfahren wurden die Klagen komplett abgewiesen, in 17 Prozent nur teilweise stattgegeben.
Lediglich 12 Prozent der Kläger hatten in erster Instanz Erfolg. In der Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht Bautzen liegt die Erfolgsquote bei verschwindend geringen sechs Prozent.
Reformdruck wächst – doch die Ressourcen fehlen
Was für Beobachter nach einer Justizkrise aussieht, wird hinter den Kulissen bereits als strukturelles Versagen gewertet. „Wenn mehr als die Hälfte aller Klagen ein und denselben Bereich betreffen, dann ist das keine normale Belastung mehr, sondern ein systemisches Ungleichgewicht“, kommentiert ein Verwaltungsrichter, der anonym bleiben möchte.
Es sei schlicht unmöglich, alle Verfahren rechtsstaatlich sauber und gleichzeitig zügig abzuarbeiten – bei gleichbleibender Personalstärke.
Die Umsetzung der neuen EU-Vorgaben, die schnellere Entscheidungen in Asylverfahren ermöglichen sollen, droht zum Pyrrhussieg zu werden. Ohne zusätzliches Personal, digitale Infrastruktur und effektive Verfahrenssteuerung bleibt das Ziel eine Fiktion.
Verdrängung anderer Verfahren
Was kaum öffentlich diskutiert wird: Während sich die Verwaltungsgerichte mit Asylrecht beschäftigen, bleiben andere Verfahren liegen. Ob Streit um Schulplätze, Baugenehmigungen oder Gewerberechte – all das verzögert sich oder wird auf die lange Bank geschoben. Der Rechtsstaat verliert damit an Schlagkraft – und vor allem an Vertrauen.
Insbesondere für Bürger und Unternehmen, die auf rechtliche Klarheit angewiesen sind, ist das ein Standortnachteil. Eine Verwaltung, die wegen Überlastung der Gerichte keine zügige Rechtssicherheit gewährleisten kann, verliert an Glaubwürdigkeit.
Ein europäisches Problem – mit lokalen Folgen
Die Entwicklung in Sachsen steht exemplarisch für viele Bundesländer, doch hier ist die Lage besonders zugespitzt. Sie zeigt, wie europäische Herausforderungen – Fluchtmigration, Asylpolitik, Integration – längst die Justiz in der Fläche bestimmen. Und das nicht theoretisch, sondern in Form überquellender Aktenstapel und überlasteter Richterzimmer.
Die Politik hat das Problem erkannt – zumindest auf dem Papier. Doch zwischen Erkenntnis und Umsetzung liegt eine Lücke, so tief wie die Verfahrensberge auf Sachsens Richtertischen.
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