23. Juni, 2025

Unternehmen

Arcelor-Mittal lässt Milliardenförderung sausen

Der weltgrößte Stahlhersteller zieht sich überraschend aus einem zentralen Projekt zur Dekarbonisierung zurück – trotz 1,3 Milliarden Euro staatlicher Zusagen. Für Deutschlands Wasserstoffpläne ist das ein harter Rückschlag.

Arcelor-Mittal lässt Milliardenförderung sausen
Arcelor-Mittal verzichtet trotz 1,3 Milliarden Euro an staatlicher Förderung auf sein Wasserstoffprojekt – und stellt damit die politische Erzählung vom schnellen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft offen in Frage.

Absage statt Aufbruch

Es war als Leuchtturmprojekt geplant – jetzt wird es zum Mahnmal der industriellen Realität: Arcelor-Mittal hat sein Vorhaben für eine klimaneutrale Stahlproduktion an den Standorten Bremen und Eisenhüttenstadt abgesagt.

Trotz einer Förderzusage von Bund und Ländern in Milliardenhöhe. Der Schritt kommt überraschend – und trifft die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung ins Mark.

„Die Rahmenbedingungen ermöglichen aus unserer Sicht kein belastbares und überlebensfähiges Geschäftsmodell“, sagt Reiner Blaschek, CEO von Arcelor-Mittal Europa Flachstahl.

Mit anderen Worten: Die wirtschaftlichen Risiken überwiegen die politischen Versprechen.

Grüner Wasserstoff – zu teuer, zu unsicher

Im Zentrum der Entscheidung steht ein Stoff, der in der Energiewende eine Schlüsselrolle spielen soll: grüner Wasserstoff. Doch was politisch als Hoffnungsträger gilt, ist für die Industrie nach wie vor ein Kostenfaktor mit vielen Fragezeichen.

Arcelor-Mittal hätte in Direktreduktionsanlagen investieren sollen, die Eisenerz mithilfe von Wasserstoff statt mit Kohle zu Stahl verarbeiten – ein technologischer Quantensprung.

Doch der Knackpunkt: Der Wasserstoff müsste aus erneuerbaren Energien gewonnen werden, in großer Menge, zu planbaren Preisen. Und genau das ist derzeit nicht der Fall.

Blaschek spricht von „massiven Unwägbarkeiten“ bei Preis und Verfügbarkeit – und trifft damit einen wunden Punkt der deutschen Wasserstoffpolitik.

Statt klimaneutralem Stahl auf Wasserstoffbasis setzt Arcelor-Mittal nun auf Elektrolichtbogenöfen – ein Rückschritt für die Dekarbonisierung, aber wirtschaftlich kalkulierbarer angesichts hoher Strompreise und unsicherer Wasserstoffverfügbarkeit.

Ein Dominoeffekt droht

Die Entscheidung des Konzerns hat weitreichende Folgen – nicht nur für die Standorte Bremen und Eisenhüttenstadt. Denn Arcelor-Mittal war in den Plänen der Bundesregierung als sogenannter Ankerkunde vorgesehen.

Der Stahlriese sollte einen großen Teil des Wasserstoff-Kernnetzes mit Bedarf füllen und so dessen wirtschaftliche Grundlage sichern.

Fällt ein solcher Abnehmer weg, stehen nicht nur Investoren unter Druck – auch die gesamte Netzplanung gerät ins Wanken. Das Versprechen, mit der Stahlbranche als Erstkunde eine funktionierende Wasserstoffwirtschaft aufzubauen, wirkt plötzlich brüchig.

Förderung allein reicht nicht

Die Entscheidung wirft ein Schlaglicht auf ein systemisches Problem: Die staatlichen Fördermittel – in diesem Fall 1,3 Milliarden Euro – sind hoch, aber an enge Auflagen geknüpft. So verpflichten sich Unternehmen zu einer zeitnahen Umstellung auf Wasserstoffbetrieb. Genau diese Vorgabe wurde Arcelor-Mittal jetzt zum Verhängnis.

„Wir können nicht garantieren, dass grüner Wasserstoff rechtzeitig und in ausreichender Menge zur Verfügung steht“, sagt Blaschek.

Der Konzern wäre am Ende verantwortlich gewesen – unabhängig davon, ob der Markt die Voraussetzungen überhaupt liefern kann.

Ein wirtschaftliches Risiko, das das Management in dieser Größenordnung nicht mehr tragen will.

Lichtbogenöfen statt Wasserstoffoffensive

Arcelor-Mittal plant nun, in beiden Werken auf Elektrolichtbogenöfen umzurüsten – allerdings zunächst ohne Direktreduktionsanlagen. Statt neuem Eisen sollen vorerst nur Schrott und Sekundärrohstoffe verarbeitet werden. Das ist klimafreundlicher als die klassische Hochofenroute, aber eben keine vollständige Dekarbonisierung.

„Eine Dekarbonisierung um jeden Preis führt in die Irre“, sagt Blaschek. Für ihn steht die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens im Vordergrund – und die sieht er durch hohe Strompreise, schwankende politische Rahmenbedingungen und globale Marktverzerrungen zunehmend bedroht.

Politik in der Defensive

Für die Bundesregierung ist der Rückzug eine herbe Niederlage. Noch 2024 hatte der damalige Wirtschaftsminister Robert Habeck den Förderbescheid persönlich übergeben – als Symbol für den industriellen Wandel.

Jetzt muss die Ampelregierung erklären, warum milliardenschwere Subventionen nicht ausreichen, um Unternehmen zum Umbau zu bewegen.

Ein Problem: Die Strompreise in Deutschland bleiben hoch, der regulatorische Rahmen unklar. Gleichzeitig machen die USA mit protektionistischen Zöllen und massiven Förderprogrammen Druck. Der geopolitische Standortnachteil wird immer spürbarer – besonders für energieintensive Branchen wie die Stahlindustrie.

Offene Flanke für die Wettbewerber

Während Konkurrenten wie Thyssen-Krupp, Salzgitter oder Saarstahl ihre Dekarbonisierungsprojekte vorantreiben – teils mit Verzögerung –, zieht sich Arcelor-Mittal aus der Offensive zurück. Das könnte kurzfristig Marktanteile sichern, langfristig aber auch den Anschluss kosten.

Noch bleibt unklar, ob andere Unternehmen ähnliche Schritte erwägen. Brancheninsider berichten von erheblichem Druck hinter den Kulissen – auch, weil die Förderbedingungen zwischen den Konzernen offenbar stark variieren.

Dass Arcelor-Mittal nicht mitspielt, sendet jedenfalls ein deutliches Signal: Die Transformation der Industrie braucht mehr als Subventionen. Sie braucht vor allem verlässliche Marktbedingungen.

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