Deutschland steht aus Sicht der Arbeitgeber an einem kritischen Punkt. Nach zwei Jahren Rezession, schwachem Wachstumsausblick und anhaltender Investitionszurückhaltung verlangt der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Rainer Dulger, einen grundlegenden wirtschaftspolitischen Neustart. Bleibe dieser aus, drohe dem Land eine strukturelle Dauerkrise.
„Deutschland braucht einen großen Wurf – sonst verlieren wir den Anschluss“, sagte Dulger der Deutschen Presse-Agentur.
Die Bundesrepublik stecke in der längsten wirtschaftlichen Schwächephase seit ihrer Gründung. Nach zwei Rezessionsjahren werde auch 2025 bestenfalls ein Miniwachstum erwartet, ein spürbarer Aufschwung sei nicht in Sicht.
Die Konjunktur schwächelt, das Vertrauen schwindet
Die neue schwarz-rote Koalition war mit einem Vertrauensvorschuss der Wirtschaftsverbände gestartet. Doch aus Sicht der Arbeitgeber ist die Schonfrist vorbei. Dulger macht klar, dass sich Erwartungen und Realität auseinanderzubewegen drohen. Die wirtschaftliche Lage verlange mehr als punktuelle Korrekturen.
Unternehmen zögerten mit Investitionen, internationale Wettbewerber zögen davon, und die demografische Entwicklung verschärfe den Druck auf Arbeitsmarkt und Sozialsysteme. Ohne strukturelle Reformen werde sich die Wachstumsschwäche verfestigen.
Außenpolitische Krisen erhöhen den Reformdruck im Inland
Dulger verweist auf ein verändertes globales Umfeld. Die Welt werde unsicherer, konfliktreicher und wirtschaftlich fragmentierter. Bundeskanzler Friedrich Merz habe beim Arbeitgebertag im November selbst von einem „Epochenbruch“ gesprochen.
Gemeint sind der anhaltende russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der wachsende Einfluss autoritärer Systeme, ein selbstbewusster auftretendes China sowie die protektionistische Handelspolitik der USA unter Präsident Donald Trump. Für Dulger ist klar: Gerade diese Entwicklungen machten Reformen im Inneren zwingender, nicht verzichtbar.
„Gute Außen- und Sicherheitspolitik ist nur möglich, wenn die Wirtschaft wächst“, sagt er. Ohne wirtschaftliche Stärke fehle dem Staat langfristig der finanzielle Spielraum für Verteidigung, Diplomatie und internationale Verantwortung.
Bürokratieabbau wird zur Schlüsselfrage
Konkret fordert Dulger einen massiven Abbau bürokratischer Lasten. Unternehmen und Bürger müssten wieder mehr Handlungsspielräume erhalten. Genehmigungsverfahren dauerten zu lange, Regulierung bremse Innovation und Investitionen.
Der Arbeitgeberpräsident sieht darin keinen Selbstzweck, sondern eine Voraussetzung für Wachstum. Schnelleres Planen, weniger Berichtspflichten und klarere Zuständigkeiten könnten kurzfristig Wirkung entfalten, ohne den Staatshaushalt zusätzlich zu belasten.
Mehr Netto vom Brutto und ein treffsicherer Sozialstaat
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Belastung von Arbeit. Dulger verlangt spürbar mehr Netto vom Brutto. Steigende Sozialabgaben schmälerten nicht nur die Kaufkraft der Beschäftigten, sondern verteuerten auch den Faktor Arbeit für Unternehmen.
Angesichts wachsender Sozialausgaben spricht er sich für Reformen des Sozialstaats aus. Dieser müsse treffsicherer und gerechter werden. Arbeit müsse sich deutlich stärker lohnen als Nicht-Arbeit. Nur so lasse sich die Erwerbsbeteiligung erhöhen und der Fachkräftemangel abfedern.
Investitionen heute entscheiden über Wachstum morgen
Aus Sicht der Arbeitgeber sind Reformen kein kurzfristiges Konjunkturprogramm, sondern eine Investition in die Zukunft. Dulger formuliert es nüchtern: Investitionen in den 2020er-Jahren entscheiden über Wachstum in den 2030er-Jahren.
Bleibe Deutschland hier zurück, werde es für in- und ausländische Investoren zunehmend unattraktiv. Kapital sei mobil, Standorte konkurrierten global. Wer zu langsam reagiere, werde umgangen.
2026 soll zum Reformjahr werden
Dulger knüpft seine Erwartungen klar an einen Zeitrahmen. 2026 müsse das Jahr tiefgreifender Reformen werden. Die von der Bundesregierung eingesetzte Rentenkommission, die bis Mitte 2026 Vorschläge vorlegen soll, sieht er als einen Prüfstein. Dabei dürfte auch ein späterer Renteneintritt kein Tabu bleiben.
Die Botschaft des Arbeitgeberpräsidenten ist deutlich: Die wirtschaftliche Krise ist nicht vorübergehend, sondern strukturell. Ohne politischen Mut, Tempo und Prioritätenwechsel droht Deutschland nicht der Absturz – sondern das schleichende Verharren in der Mittelmäßigkeit.

