„One Grocery“: Amazon zieht die Zügel an
Acht Jahre nach der Übernahme von Whole Foods für 13,7 Milliarden Dollar zieht Amazon die Notbremse. In einer der bislang weitreichendsten Umstrukturierungen im Konzern wird die Bio-Supermarktkette nun vollständig in die Amazon-Welt integriert.
Künftig wird Whole Foods organisatorisch, personell und technologisch weit stärker in Amazons Kerngeschäft eingebunden, als es je der Fall war. Das Ziel: mehr Effizienz, weniger Reibungsverluste und endlich Wachstum im hart umkämpften Lebensmittelhandel.
Jason Buechel, seit Anfang des Jahres verantwortlich für Amazons weltweites Lebensmittelgeschäft und bereits seit 2022 CEO von Whole Foods, erläuterte den Umbau kürzlich in einem internen Memo, das dem Wirtschaftsmagazin Business Insider vorliegt.
Kernelement: Die Verwaltung von Whole Foods wird vollständig unter die HR- und Vergütungsprogramme von Amazon gestellt. Auch Reportinglinien, Systeme und Technologie sollen angeglichen werden. Die operative Belegschaft in den Filialen ist von den Veränderungen zunächst nicht betroffen.
Fehlende Synergien – ein teures Problem
Der Schritt kommt nicht von ungefähr. Amazon hat es bislang nicht geschafft, aus der Übernahme von Whole Foods den erhofften Schub für das eigene Lebensmittelgeschäft zu erzeugen.
In seinem Memo benennt Buechel die Schwächen offen: doppelte Prozesse, fragmentierte Systeme, unterschiedliche Vergütungsmodelle und kulturelle Unterschiede hätten Synergien verhindert und Wachstum gebremst.
„Zu oft duplizieren wir unsere Anstrengungen und lassen einfache Effizienzgewinne ungenutzt“, schreibt der Manager.
Marktanteil weiter enttäuschend gering
Trotz aller Investitionen dümpelt Amazons Marktanteil im US-Lebensmittelhandel weiter auf niedrigem Niveau. Aktuell kommen Amazon und Whole Foods zusammen auf etwa 3 Prozent Marktanteil – weit abgeschlagen hinter Platzhirsch Walmart (über 21 Prozent) und dem zweitplatzierten Kroger (8,6 Prozent), wie Daten des Marktforschers Numerator zeigen.

Amazons Anteil ist seit 2022 sogar leicht rückläufig. Hinzu kommt: Im Segment der stationären Filialen stagnieren die Umsätze seit Jahren. Im ersten Quartal 2025 erzielte Amazon in seinen physischen Läden 5,5 Milliarden Dollar Umsatz – eine Steigerung im niedrigen einstelligen Bereich.
Die Hoffnung ruht nun auf der „One Grocery“-Strategie: eine einheitliche Organisation für sämtliche Lebensmittelaktivitäten von Amazon, also Whole Foods, Amazon Fresh und Amazon Go.
Neue Führungsriege mit klarer Amazon-Handschrift
Herzstück der Reorganisation ist ein komplett neu aufgestelltes Management-Team. Neben langjährigen Whole-Foods-Managern dominieren nun Führungskräfte aus Amazons eigenen Reihen. Unter anderem:
- Anand Varadarajan (Produkt & Technologie)
- Bill Jordan (Betrieb weltweit)
- Christina Minardi (Expansion & Immobilien)
- Ganesh Rao (Amazon Fresh International)
- Karen Christensen (Nordamerika Fresh & Go)
- Sonya Gafsi Oblisk (Marketing & Eigenmarken)
- Vishy Subramanian (Logistik)
- Kim Wells (Strategische Initiativen)
Auffällig: Zwei frühere Tesco-Manager, die unter dem ehemaligen Grocery-Chef Tony Hoggett zu Amazon geholt wurden, finden sich nicht mehr auf der Liste.
Personalpolitik nach Amazon-DNA
Mit der Integration von Whole Foods-Mitarbeitern in Amazons HR-Systeme geht auch ein Kulturwechsel einher. Künftig gelten Amazons Vergütungsstrukturen, bestehend aus Fixgehalt und Aktienoptionen.
Für die meisten Mitarbeiter dürfte sich die Gesamtvergütung kaum ändern, wohl aber die Leistungsbeurteilung, Titelsysteme und Aufstiegschancen. Die Umstellung soll binnen zwölf Monaten abgeschlossen sein.
Ein Novum: Whole-Foods-Mitarbeiter werden fortan ihre Kommunikation zunehmend über Amazon-Domains abwickeln – ein weiterer symbolischer Schritt Richtung Konzernangleichung.
Kostendruck bleibt hoch
Trotz der ambitionierten Wachstumspläne bleibt Amazon auch beim Thema Kosten eisern. So ließ Buechel offen, ob bestehende Mitarbeiterrabatte langfristig erhalten bleiben. Sollte es hier Änderungen geben, werde man die Belegschaft rechtzeitig informieren, hieß es aus dem Unternehmen.
Schon in den vergangenen Jahren hatte Amazon immer wieder Anpassungen am Lebensmittelgeschäft vorgenommen: von der Drosselung des „Just Walk Out“-Systems, über die Pausierung neuer Amazon-Fresh-Standorte, bis hin zu milliardenschweren Abschreibungen auf unrentable Filialen. 2022 hatte Amazon allein auf Fresh und Go rund 720 Millionen Dollar abgeschrieben.
Andy Jassy bleibt optimistisch
Trotz aller Rückschläge bleibt Amazon-CEO Andy Jassy demonstrativ optimistisch. Auf der letzten Hauptversammlung betonte er, Amazon sei „sehr bullish“ im Lebensmittelsegment. Whole Foods wachse schneller als der Branchendurchschnitt und zeige eine „sehr ordentliche Profitabilitätsentwicklung“.
Zahlen unterfüttern den Optimismus zumindest teilweise: Seit der Übernahme sei der Umsatz von Whole Foods um mehr als 40 Prozent gestiegen, betont der Konzern. Zusammen mit Amazon Fresh habe der Bereich 2024 einen Umsatz im zweistelligen Milliardenbereich erzielt. Genaue Zahlen nennt Amazon traditionell nicht.
Das eigentliche Ziel: Kontrolle über den Supermarkt der Zukunft
Der Umbau zeigt vor allem eines: Amazon will im Lebensmittelhandel nicht länger Zaungast bleiben. Der stationäre Handel ist für den Konzern trotz seiner E-Commerce-Dominanz ein strategisches Muss.
Nicht nur wegen der gigantischen Marktvolumina, sondern auch als Experimentierfeld für künftige Omnichannel-Strukturen, Logistikkonzepte und Kundendatenströme. „One Grocery“ ist der Versuch, nach Jahren des Experimentierens endlich den Schalter umzulegen.
Ob der Plan aufgeht, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Sicher ist nur: Amazon geht mit dem Umbau an die Substanz – kulturell, organisatorisch und operativ.
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