Alibaba legt im KI-Rennen nach. Der Konzern integriert mit „Wan2.6“ ein neues Videomodell in seine Cloud-Plattform und adressiert damit ein zentrales Problem der generativen KI: die konsistente Darstellung von Personen und Stimmen über mehrere Szenen hinweg. Für Entwickler und Unternehmenskunden ist das ein reales Fortschrittsversprechen. Für Anleger bislang nicht.
Die Aktie reagiert verhalten. Trotz der technologischen Offensive bleibt der Kurs unter Druck – ein Muster, das Alibaba seit Monaten begleitet.
Wan2.6 zielt auf ein Kernproblem der VideokI
Im Zentrum des neuen Modells steht die sogenannte Reference-to-Video-Funktion. Nutzer können ihr eigenes Erscheinungsbild und ihre Stimme als Referenz hinterlegen, die das System anschließend über verschiedene Videosequenzen hinweg stabil reproduziert. Genau daran scheiterten viele bisherige Lösungen: Gesichter änderten sich, Stimmen drifteten, der Wiedererkennungswert ging verloren.
Alibaba spricht von einer Premiere auf dem chinesischen Markt. Ob das zutrifft, ist schwer zu verifizieren. Klar ist jedoch: Für Werbung, Marketing, Schulungsvideos oder Avatare ist Konsistenz kein Nice-to-have, sondern Voraussetzung. Wan2.6 adressiert damit einen klar definierten kommerziellen Anwendungsfall.
Alibaba Cloud wird zur zentralen KI-Drehscheibe
Das Modell wird direkt in die Cloud-Plattform „Bailian“ integriert. Damit folgt Alibaba seiner erklärten „AI-first“-Strategie: KI nicht als isoliertes Forschungsprojekt, sondern als Bestandteil skalierbarer Cloud-Dienste.

Für Alibaba Cloud ist das entscheidend. Die Sparte steht unter Druck, sowohl durch chinesische Wettbewerber als auch durch globale Anbieter. Neue KI-Funktionen sollen Differenzierung schaffen und Entwickler enger an das Ökosystem binden. Wan2.6 ist weniger ein Marketing-Gag als ein Versuch, reale Nutzung und damit wiederkehrende Umsätze zu erzeugen.
Der KI-Wettbewerb verschiebt sich Richtung Video
Strategisch kommt der Schritt nicht zufällig. In China verlagert sich der Fokus zunehmend von großen Sprachmodellen hin zu multimodalen Anwendungen. Video gilt als nächstes Schlachtfeld – auch weil Plattformen wie Douyin (ByteDance) zeigen, wie monetarisierbar Bewegtbild ist.
Alibaba signalisiert mit der schnellen Iteration auf Version 2.6, dass man den Entwicklungsrhythmus erhöht hat. CEO Eddie Wu steht unter Druck, den Eindruck eines technologischen Rückstands zu widerlegen. Wan2.6 ist ein sichtbares Zeichen, dass Alibaba im KI-Wettlauf nicht nur mitläuft, sondern gezielt angreift.
Mehr als ein einzelnes Modell
Parallel treibt der Konzern weitere KI-Produkte voran. Mit der App-Version von „88Cha“ will Alibaba KI-gestützte Unternehmensanalysen in den Alltag von Firmen integrieren. Kostenlose Basisdaten kombiniert mit automatisierten Auswertungen sollen Due-Diligence-Prozesse beschleunigen.
Das Muster ist erkennbar: Alibaba versucht, KI tief in betriebliche Abläufe einzubetten – nicht als Vision, sondern als Werkzeug. Ob daraus signifikantes Wachstum entsteht, hängt weniger von der Technologie als von der Zahlungsbereitschaft der Kunden ab.

Der Aktienkurs erzählt eine andere Geschichte
An der Börse verfängt das bislang kaum. Die Alibaba-Aktie notiert bei rund 125 Euro und hat in den vergangenen 30 Tagen fast acht Prozent verloren. Der Abstand zum 50-Tage-Durchschnitt ist deutlich, der Trend klar negativ.
Technisch betrachtet befindet sich der Titel im überverkauften Bereich. Der Relative-Stärke-Index liegt unter 30. Das signalisiert kurzfristig möglichen Gegenwind für die Verkäufer, ist aber kein Trendwendesignal. Zu oft hat Alibaba in den vergangenen Jahren gezeigt, dass technologische Fortschritte allein nicht reichen, um Vertrauen zurückzugewinnen.
Der Markt verlangt mehr als Innovation
Das zentrale Problem bleibt strukturell. Anleger warten nicht auf das nächste Modell, sondern auf Beweise, dass KI-Investitionen die Ertragskraft nachhaltig verbessern. Alibaba hat in der Vergangenheit viel angekündigt und weniger geliefert, zumindest gemessen an den Erwartungen.
Der offizielle Produkt-Launch von Wan2.6 am 17. Dezember wird deshalb genau beobachtet. Entscheidend sind weniger Live-Demos als Antworten auf drei Fragen: Wie wird das Modell bepreist? Wie schnell lässt es sich skalieren? Und welchen Beitrag kann es zum Cloud-Umsatz leisten?
Technologie ist zurück – Vertrauen noch nicht
Wan2.6 zeigt, dass Alibaba technologisch weiterhin mithalten kann. Der Konzern ist nicht abgehängt, weder in der Forschung noch bei der Umsetzung. Doch die Börse honoriert das erst, wenn aus Fortschritt Geschäft wird.
Solange diese Brücke nicht sichtbar ist, bleibt die Aktie anfällig – selbst bei echten KI-Durchbrüchen. Alibaba liefert Technik. Der Markt wartet auf Erträge.


