Ein Deal, der in Brüssel für Streit sorgte – und in Berlin für Nervosität
Die EU-Kommission hat am Freitag grünes Licht gegeben. Nach Monaten intensiver Verhandlungen erhält der staatliche Energieriese Adnoc die Freigabe für die Übernahme des Kunststoffherstellers Covestro. Ein Schritt, der kaum noch als selbstverständlich galt: Zu groß waren die Vorbehalte in Brüssel darüber, wie viel staatliche Rückendeckung ein arabischer Staatskonzern auf dem europäischen Markt besitzen darf.
Jetzt aber ist klar: Der 12-Milliarden-Euro-Deal passiert die europäische Wettbewerbs- und Subventionskontrolle – mit Auflagen, aber ohne die großen Blockaden, die manche befürchtet hatten.
Nur: Ohne die Zustimmung aus Berlin bleibt die Transaktion ein halbfertiges Bauwerk.

Berlin zögert – und reist gleichzeitig nach Abu Dhabi
Zuständig für die deutsche Prüfung ist das Wirtschaftsministerium. Dessen Chefin, Katherina Reiche (CDU), reist in den kommenden Tagen nach Abu Dhabi. Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Bei den Gesprächen mit der Adnoc-Führung könnte die Bundesregierung ihre Bewertung offiziell machen. Branchenkreise und Regierungskreise gehen davon aus, dass der deutsche Staat den Weg freigeben wird – möglicherweise bereits kommende Woche.
Die Bundesrepublik prüft bei ausländischen Übernahmen stets, ob sicherheitsrelevante Interessen gefährdet sein könnten. Bei Covestro geht es vor allem um technologisches Know-how aus der Chemie- und Materialforschung – ein Feld, das zwar strategisch wichtig ist, aber nicht unmittelbar in der Verteidigungs- oder Schlüsseltechnologie verankert ist.
Die EU hat sich mit den entscheidenden Punkten ebenfalls auseinandergesetzt: Adnoc verzichtet auf unbegrenzte Staatsgarantien und hält europäische Patente im europäischen Rechtsraum. Das beruhigt Brüssel – und spricht auch in Berlin gegen eine Blockade.
Warum dieser Deal so brisant ist
Es ist die bisher größte Übernahme eines deutschen Konzerns durch ein arabisches Staatsunternehmen. Und sie kommt zu einem Zeitpunkt, an dem Deutschland energiepolitisch wie industriepolitisch engere Partnerschaften im Nahen Osten sucht.
Die Emirate sind bereits einer der wichtigsten Energielieferanten Deutschlands – eine Rolle, die seit dem Ukrainekrieg weiter an Bedeutung gewonnen hat. Gleichzeitig baut Adnoc seine globale Position um: weg vom Bild des reinen Öl- und Gasförderers, hin zu einem Industrie- und Technologiekonzern mit Ambition.
Covestro spielt in dieser Vision eine Schlüsselrolle.

Was Covestro nach der Übernahme erwartet
Die Araber planen, Covestro von der Börse zu nehmen und in ihre XRG-Holding zu integrieren – ein Investmentvehikel, das die Zukunftsgeschäfte des Konzerns steuern soll: Chemie, erneuerbare Energien, Gas, Spezialmaterialien.
Das Leverkusener Unternehmen würde dabei zur Basis einer globalen Expansionsstrategie. Bereits im Vorfeld deuteten beide Seiten in der Investitionsvereinbarung an, dass Covestro als „Plattformunternehmen“ dienen soll – eine Art Kernstück für den weltweiten Ausbau von Kunststoff- und Spezialchemiekompetenzen.
Im Hintergrund zieht ein deutscher Manager die Fäden: Rainer Seele, früher Chef von Wintershall Dea und OMV, ist bei Adnocs Tochter XRG für das Chemiegeschäft zuständig. In Branchenkreisen gilt es als wahrscheinlich, dass er nach der Übernahme in den Covestro-Aufsichtsrat einzieht. Seele kennt sowohl den europäischen Chemiemarkt als auch die geopolitische Logik der Emirate – eine Kombination, die dem Projekt zusätzlichen Schub geben könnte.
Ein Deal mit politischer und wirtschaftlicher Sprengkraft
Die politische Dimension des Deals ist nicht zu unterschätzen. Die EU hatte ihre Prüfung im Rahmen der neuen Drittstaaten-Subventionsverordnung durchgeführt – einem Instrument, das verhindern soll, dass staatlich subventionierte Großkonzerne außerhalb der EU zu unfairem Wettbewerbsvorteil in Europa gelangen.
Für Adnoc bedeutet der Deal: Die Emirate betreten erstmals in großem Stil die europäische Industrie. Für Covestro bedeutet er: Frisches Kapital, eine neue strategische Heimat – und den Verlust der Unabhängigkeit.
Für Deutschland wiederum bedeutet er: Die Frage, ob man sich wirtschaftlich stärker an die Golfstaaten bindet, während man gleichzeitig versucht, technologische Kernkompetenzen in Europa zu halten.



