14. Juni, 2025

Unternehmen

Absturz in Ahmedabad: Indiens Luftfahrttraum wankt

Der Absturz von Flug AI171 trifft Indien mitten im Aufschwung. Während der Subkontinent zum Hoffnungsträger der globalen Luftfahrt avanciert, bringt die Katastrophe Boeing erneut unter Druck – und wirft ein Schlaglicht auf die Abhängigkeiten der Industrie.

Absturz in Ahmedabad: Indiens Luftfahrttraum wankt
Der Absturz eines 787-Dreamliners in Ahmedabad reiht sich in eine Kette technischer und sicherheitsrelevanter Rückschläge bei Boeing ein – und verstärkt die Zweifel an der Stabilität des US-Herstellers.

Ein einzelnes Unglück genügt manchmal, um das große Bild ins Wanken zu bringen. Der Absturz des Dreamliners AI171 kurz nach dem Start im indischen Ahmedabad kommt zu einem Zeitpunkt, an dem Indiens Luftfahrtindustrie gerade in historischer Aufbruchsstimmung war – und bringt damit gleich mehrere Akteure in Erklärungsnot.

Der schnellste Wachstumsmarkt der Welt

Indien galt zuletzt als künftiger Wachstumsmotor der globalen Luftfahrt. Airbus, ohnehin mit vollen Auftragsbüchern, sieht den Subkontinent in seinen Prognosen als wichtigsten Einzelmarkt der nächsten beiden Dekaden.

Von weltweit erwarteten 42.500 neuen Passagiermaschinen bis 2044 könnten allein mehr als die Hälfte aus Asien und dem Pazifikraum geordert werden – ein Großteil davon aus Indien.

Das Nachholpotenzial ist gigantisch. Während westliche Industrienationen in eine Phase des stagnierenden Flugverkehrs eintreten, beginnt für Indien der eigentliche Boom erst jetzt. Der Inlandsflugverkehr wächst dort jährlich um neun Prozent – in Westeuropa sind es magere 1,7 Prozent.

Neue Flughäfen entstehen landesweit, Streckennetze werden verdichtet. Binnen eines Jahrzehnts hat sich die Zahl innerindischer Flugverbindungen verdreifacht.

Indigo und der größte Auftrag der Luftfahrtgeschichte

Sinnbild des Aufschwungs ist die Fluggesellschaft Indigo. CEO Pieter Elbers, früher Chef der niederländischen KLM, überraschte 2023 auf der Pariser Luftfahrtschau mit der größten Bestellung der Luftfahrtgeschichte: 500 Airbus-Jets auf einen Schlag.

Während Boeing in Asien Marktanteile verliert, sichert sich Airbus mit Mega-Aufträgen von Indigo und einer eigenen Endmontagelinie in Tianjin die Vormachtstellung in den beiden größten Wachstumsmärkten.

Inzwischen ist der Auftrag auf 800 Maschinen angewachsen. Indigo avanciert damit nicht nur zur dominierenden Airline Indiens, sondern zu einem der größten Einzelkunden weltweit.

Das Geschäftsmodell ist simpel: Mehr Wohlstand, mehr Passagiere, mehr Strecken. Bisher reisen viele Inder noch mit Bus und Bahn. Doch mit einer wachsenden Mittelschicht steigen auch die Passagierzahlen rapide.

Airbus erwartet in Indien eine Verfünffachung des Flugaufkommens pro Kopf bis 2044 – bei 1,4 Milliarden Einwohnern kein kleines Geschäft.

Boeing unter Druck – erneut

Der Absturz von AI171 trifft unterdessen vor allem Boeing hart. Nach den Skandalen um die 737 Max und mehreren anderen technischen Problemen der vergangenen Jahre kämpft der US-Konzern seit geraumer Zeit um seinen Ruf.

Nun steht erneut ein Dreamliner im Zentrum eines Absturzes – ein Rückschlag zum denkbar ungünstigen Zeitpunkt, inmitten globaler Lieferkettenprobleme und harter Konkurrenz.

Ohnehin hat Boeing in Asien zunehmend das Nachsehen. Chinesische Airlines stornierten zuletzt sogar bereits ausgelieferte Maschinen. Der eskalierende Handelsstreit zwischen Peking und Washington verschärft die Lage zusätzlich.

Während Boeing in China nahezu blockiert wird, errichtete Airbus eigens eine Endmontagelinie im chinesischen Tianjin, um sich den Markt zu sichern – mit Erfolg.

China drängt nach, aber bleibt abhängig

Auch China bleibt eine Schlüsselfront im globalen Flugzeugpoker. Zwar hat der Staatskonzern Comac mit dem C919 seine eigene Mittelstreckenmaschine auf den Markt gebracht – doch das Projekt ist noch immer auf westliche Technologie angewiesen, insbesondere bei den Triebwerken.

US-Sanktionen gegen Zulieferungen setzen hier enge Grenzen. Die chinesische Eigenentwicklung CJ-1000A steckt noch im Zertifizierungsprozess.

Dennoch wächst der Flugverkehr auch in China rasant, insbesondere seit dem Ende der Corona-Beschränkungen. Während westliche Airlines russischen Luftraum meiden, fliegen Chinas Gesellschaften weiter durch Sibirien – und sichern sich so Zeit- und Kostenvorteile auf Langstrecken.

Ein globaler Boom – doch kein Selbstläufer

Trotz aller Euphorie: Der globale Luftfahrtboom bleibt fragil. Politische Risiken, Handelskonflikte und technische Pannen können jederzeit Wachstumsträume dämpfen. Der Absturz in Ahmedabad mahnt, dass der Erfolg der Branche auf vielen unsicheren Variablen ruht.

Für Indien bleibt der Weg nach oben aber intakt – vorerst. Die nächste Bühne für die globalen Player ist bereits bereitet: In Le Bourget beginnt demnächst die Paris Air Show. Airbus, Boeing und die Politik werden dort nicht nur neue Milliardendeals verhandeln, sondern auch demonstrieren müssen, dass der Boom tatsächlich nachhaltig bleibt. Nach Ahmedabad ist das Vertrauen jedenfalls erneut ein Stück brüchiger geworden.

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