Ein Satz, der Wellen schlägt
Es war ein kurzer Halbsatz, aber er reichte, um eine landesweite Debatte loszutreten. Als Friedrich Merz von „Problemen im Stadtbild“ sprach, reagierten viele empört. In Köln und Münster gingen rund 2.400 Menschen auf die Straße, Grünen-Politiker stellten Anzeige wegen Volksverhetzung. Doch laut ZDF-Politbarometer halten 63 Prozent der Deutschen seine Aussage für richtig. Nur 29 Prozent widersprechen.
Die Diskrepanz ist deutlich: Während in den sozialen Netzwerken Kritik dominiert, sieht die Mehrheit der Bevölkerung offenbar kein Problem in Merz’ Worten – im Gegenteil.
Zustimmung vor allem bei Älteren
Vor allem die mittlere und ältere Generation steht hinter dem Kanzler. In der Altersgruppe von 35 bis 59 Jahren stimmen 70 Prozent Merz zu, bei den über 60-Jährigen sind es 66 Prozent. Nur unter jungen Erwachsenen (18 bis 34 Jahre) fällt die Zustimmung mit 42 Prozent deutlich niedriger aus.
Das zeigt: Je länger jemand den Wandel deutscher Städte miterlebt hat, desto eher teilt er Merz’ Einschätzung. Für viele Jüngere dagegen ist Vielfalt längst Teil ihres Alltags – sie empfinden die Aufregung als überzogen.
„Fragen Sie mal Ihre Töchter“
Mit dieser Nachbemerkung sorgte Merz für zusätzlichen Zündstoff. Er spielte damit auf Sicherheitsbedenken im öffentlichen Raum an – ein heikles Thema, das seit Jahren unterschwellig mitschwingt. Am Folgetag stellte er klar, dass er nicht pauschal über Migranten gesprochen habe, sondern über jene ohne Aufenthaltsstatus, die nicht arbeiteten und sich nicht an Regeln hielten.
Doch der Schaden war angerichtet. Gegner warfen ihm vor, Ressentiments zu schüren. Befürworter sahen endlich jemanden, der ausspricht, was viele denken.
Sicherheitsempfinden bleibt stabil
Trotz der aufgeheizten Stimmung fühlen sich die meisten Deutschen sicher. Laut der Umfrage gaben 66 Prozent an, sich an öffentlichen Orten sehr oder eher sicher zu fühlen. Nur ein Viertel fühlt sich unsicher, acht Prozent sehr unsicher. Zwischen Männern und Frauen gibt es kaum Unterschiede.
Auch in der Nachbarschaft herrscht Gelassenheit: Nur 18 Prozent der Befragten berichten von Problemen mit Flüchtlingen in ihrer Umgebung. Drei Viertel sehen keine oder kaum Schwierigkeiten.
Gefühl und Realität
Die Zahlen zeigen, dass das Sicherheitsempfinden und die persönliche Erfahrung oft nicht mit der öffentlichen Wahrnehmung übereinstimmen. Viele Menschen nehmen gesellschaftliche Veränderungen als bedrohlich wahr, obwohl ihr direktes Umfeld stabil bleibt. Diese Lücke zwischen Gefühl und Realität ist politisch brisant – und Merz nutzt sie gezielt.
Er bedient ein Stimmungsbild, das sich schwer messen lässt, aber in vielen Gesprächen durchscheint: das Gefühl, dass sich „etwas verändert hat“.
Zwischen Klartext und Kalkül
Merz hat mit einem einzigen Satz das Land gespalten – oder, wie seine Anhänger sagen würden, endlich ehrlich gesprochen. Die 63 Prozent Zustimmung zeigen, dass viele Deutsche sich nach klaren Worten sehnen, auch wenn sie unbequem sind.
Doch Klartext und populistische Zuspitzung liegen nah beieinander. Ob der Kanzler das bewusst einkalkuliert hat oder nicht – seine Wortwahl hat Wirkung gezeigt.
Was bleibt, ist eine Gesellschaft, die über sich selbst diskutiert: über Wahrnehmung, Sicherheit und Sprache. Und ein Kanzler, der weiß, dass politische Macht oft dort wächst, wo sich die Mehrheit verstanden fühlt – selbst, wenn sie schweigt.

