Wenn Bernd R. mit seinem Gabelstapler durch das Lager fährt, muss alles sitzen: Die Kommissionierung ist digital, das Warenwirtschaftssystem läuft über eine eigene App, und die Stapler sind mit Tablets ausgestattet. Doch das System hängt – immer wieder.
„Das Netz bricht ständig ab, wenn ich aus dem Hauptlager rausfahre“, sagt der 58-Jährige.
Dabei steht über dem Tor in großen Lettern: „5G ready“. Seit zwei Jahren nutzt sein Arbeitgeber in Nordrhein-Westfalen ein sogenanntes Campusnetz – doch von „Echtzeit“ könne keine Rede sein, sagt er.
„Das klingt alles gut auf dem Papier. Aber wenn ich ehrlich bin: Unser altes WLAN war stabiler.“
Bernd R. ist kein Einzelfall. Sechs Jahre nach der Versteigerung der 5G-Frequenzen für über 6,6 Milliarden Euro fällt die Bilanz ernüchternd aus. Zwar ist das Netz schneller geworden – die durchschnittlichen Downloadraten haben sich etwa verdreifacht – doch der große Durchbruch für Echtzeitanwendungen lässt weiter auf sich warten.
Das große Versprechen
Als die Bundesnetzagentur im Sommer 2019 die Frequenzen versteigerte, war die Euphorie groß. 5G sollte nicht nur ein besseres Mobilfunknetz werden, sondern die Grundlage für eine neue Ära industrieller Digitalisierung.
Autonomes Fahren, Fernoperationen, vernetzte Städte, intelligente Landwirtschaft – all das sollte möglich werden, sobald die Latenzzeiten unter zehn Millisekunden sinken. Doch diese Grenze wurde bis heute nicht erreicht.

Eine exklusive Auswertung des britischen Netzanalysedienstes Opensignal zeigt: Selbst der beste Anbieter, die Deutsche Telekom, kommt im Schnitt auf 23 Millisekunden – Vodafone und Telefónica auf jeweils knapp 29. „Damit ist Echtzeitkommunikation schlicht nicht möglich“, sagt Frank Fitzek, Professor für Kommunikationsnetze an der TU Dresden.
Für viele industrielle Anwendungen sei das fatal, so Fitzek, etwa für die Steuerung autonomer Fahrzeuge über das Netz. „Wenn der Befehl zur Notbremsung erst nach 30 Millisekunden ankommt, kann das zu spät sein.“
Industrie wartet – und rüstet trotzdem
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) sieht die Verzögerungen kritisch. „Die Industrie ist auf verlässliche Echtzeitverbindungen angewiesen – und hat ihre Produktionskonzepte darauf ausgerichtet“, sagt Marcus Bollig, Geschäftsführer des VDA.
Vor allem im Bereich des sogenannten „Platooning“, also dem Fahren von Lkw-Kolonnen mit minimalem Abstand, oder bei Kreuzungsassistenten seien millisekundengenaue Reaktionen entscheidend. „Was aktuell angeboten wird, reicht dafür schlicht nicht.“
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Tatsächlich zeigt sich die Industrie pragmatisch: Viele Unternehmen bauen ihre eigenen lokalen 5G-Campusnetze auf – abgeschottete Mini-Netze auf Firmengelände, unabhängig vom öffentlichen Mobilfunk. Doch das ist keine Lösung für den öffentlichen Raum, betont Fitzek.
„Wer ein autonomes Fahrzeug durch eine Stadt schicken will, braucht ein Netz, das überall funktioniert – nicht nur auf dem Werksgelände.“
Die Lücke zur Weltspitze
International zeigt sich, wie es besser geht. In China etwa wurden bereits mehr als zwei Millionen 5G-Basisstationen errichtet. In Städten wie Shenzhen wurde die gesamte Netzstruktur auf Echtzeitfähigkeit getrimmt – mit Rechenzentren in Straßenlaternen, engmaschiger Funkzellentechnik und Latenzen von vier bis acht Millisekunden.
In Deutschland hingegen stockt der Ausbau – auch weil beim Einsatz chinesischer Netztechnik wie Huawei strikte Regeln gelten.
Die Netzbetreiber verweisen auf schwierige Rahmenbedingungen. Ein Teil der Frequenzen sei für Campusnetze reserviert worden, was den Ausbau bremse. Zudem fehle es an Investitionsanreizen, Planungsrecht und flächendeckendem politischem Willen.
Auf Anfrage des Autors wollten weder die Deutsche Telekom, noch Vodafone oder Telefónica eigene Netzdaten zu Latenz oder Netzabdeckung zur Verfügung stellen.
Marketing und Realität
Was die Unternehmen stattdessen liefern, ist Werbung. Auf ihren Websites bewerben sie 5G weiter mit dem Versprechen von „Echtzeitkommunikation“ – auch wenn sie auf Nachfrage einräumen, dass sich die Texte noch aus der „Anfangszeit von 5G“ stammen. Offenbar hatte man sich selbst zu früh zu weit aus dem Fenster gelehnt.
Für Anwender wie Bernd R. bedeutet das: Frust im Alltag. „Ich habe nichts dagegen, wenn etwas noch nicht perfekt ist. Aber was mich ärgert, ist diese Schönrednerei.“ Während er das sagt, klingelt sein Diensthandy. Der Bildschirm friert ein. „Schon wieder. 5G. Super.“
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