30. Mai, 2025

Politik

500 Kilometer Verwirrung – Was meint Merz wirklich mit „Long Range Fire“?

Vor Selenskyjs Besuch in Berlin sorgt Kanzler Merz mit Aussagen zu Waffenreichweiten für Irritation – ist das der rhetorische Auftakt zur Taurus-Lieferung oder ein kalkuliertes Spiel mit der Unklarheit?

500 Kilometer Verwirrung – Was meint Merz wirklich mit „Long Range Fire“?
Symbolträchtig, aber leer? Präsident Selenskyj und Kanzler Merz – hinter dem Protokoll bleibt die Taurus-Frage unbeantwortet.

Friedrich Merz spricht – und keiner weiß, was er meint. Mitten hinein in die Vorbereitungen für den Berlin-Besuch des ukrainischen Präsidenten Selenskyj ließ der Kanzler einen Satz fallen, der seither Rätsel aufgibt.

Auf der Digitalkonferenz Republica versprach Merz Waffen, „die auch militärische Ziele im Hinterland angreifen können“. Keine Reichweitenbegrenzung mehr. Long Range Fire. Ein Satz wie ein Startknopf – aber wofür?

Was wie ein Taurus-Versprechen klingt, wird gleich darauf dementiert. Vizekanzler Klingbeil rudert zurück. Merz selbst relativiert einen Tag später in Finnland.

Ukraine-Liveblog: ++ Selenskyj in Berlin empfangen ++
Der ukrainische Präsident Selenskyj ist für Gespräche mit Kanzler Merz in Berlin eingetroffen. Kanzleramtschef Frei schließt die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine nicht aus.

Und doch bleibt die Frage: Steckt mehr hinter der kryptischen Formulierung? Will der Kanzler eine politische Botschaft verpacken – oder betreibt er gezielte strategische Unklarheit?

Ein Kanzler zwischen Rhetorik und Realität

Noch im Wahlkampf hatte Merz deutlich für die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper geworben.

Die bis zu 500 Kilometer weit fliegenden Raketen gelten als militärisch entscheidend für den ukrainischen Zugriff auf russische Logistikzentren weit hinter der Front. Anders als Vorgänger Scholz wollte Merz sich nicht länger wegducken. Und jetzt?

Die Realität ist ernüchternd: Weder ist eine Taurus-Lieferung beschlossen, noch wurde mit der technischen Vorbereitung begonnen. Kein Training ukrainischer Soldaten, keine Umrüstung, keine Integration. Die Industrie wartet. Berlin schweigt.

Vernebelte Kommunikation – mit Kalkül?

Aus Regierungskreisen heißt es, Merz habe schlicht beschrieben, was „seit langer Zeit“ Realität sei – eine Formulierung, die mehr verschleiert als erklärt.

Tatsächlich hatten die USA ihre Reichweitenbeschränkungen bereits 2023 aufgehoben, erlaubten der Ukraine Angriffe auf russisches Gebiet. Merz befürwortet das – aber ob daraus eine Taurus-Lieferung folgt, bleibt offen.

„Vielleicht meint er auch nur eine Ausweitung der Mars-II-Nutzung“, heißt es hinter vorgehaltener Hand im Bundestag.

Andere sprechen von einzelnen Komponenten oder einer möglichen „europäischen Gemeinschaftslösung“. In der Rüstungsindustrie glaubt man, Merz betreibe „Abschreckung durch Unklarheit“. Die Politik des strategischen Nebels – eine Taktik, die einst Henry Kissinger pflegte. Nur war der kein Wahlkämpfer.

Geheimhaltung als neue Linie – für mehr Klarheit?

Interessanterweise beschloss die Bundesregierung vor wenigen Tagen, Waffenlieferungen an die Ukraine nicht mehr öffentlich aufzulisten. Ein Kurswechsel, der auf breite Zustimmung stößt – auch, weil er Spielräume für stille Entscheidungen schafft. Eine Taurus-Lieferung im Hintergrund? Zumindest theoretisch wäre das nun einfacher umzusetzen.

Doch nach wie vor fehlt das Entscheidende: politischer Wille gepaart mit praktischer Vorbereitung. Ohne beides bleibt der „Long Range Fire“-Satz genau das – eine Phrase ohne Wirkung.

Ein Kanzler und sein Schatten

In der Ukraine ist die Geduld begrenzt. Präsident Selenskyj reist nach Berlin – und könnte Hoffnung mitbringen, wo bislang keine Substanz ist. Politisch ist das riskant.

Auch für Merz, dessen Ansehen im internationalen Umfeld auf Klarheit und Berechenbarkeit fußt. Was bleibt, ist ein Satz auf einer Bühne – und ein Berg an Spekulationen.

Der Kreml reagiert – und wirkt genauso ratlos. „Gefährlich“, nennt ein Sprecher die Aussage – „wenn es sie denn gegeben hat“. Eine Reaktion, die zeigt, wie effektiv Merz’ Nebelgranate auch in Moskau gezündet hat. Oder wie wenig Substanz man ihr dort zutraut.

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